Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)
Initiative im Einklang mit der sonst überall angewandten Vorgehensweise der UNO . Ein wesentlicher Bestandteil der Amtsbeschreibung des UN -Generalsekretärs ist sein Recht, mit allen Beteiligten eines gegebenen Konflikts zu sprechen und eine inklusive Herangehensweise an den politischen Dialog zu fördern.
Aufgrund meiner Erfahrungen in der Region, einschließlich derjenigen mit der Hisbollah, war ich allerdings skeptisch, was die Fähigkeit der Vereinten Nationen anging, diese Rolle gegenüber der Hamas auszufüllen – es sei denn, es wäre eine einmütig beschlossene internationale Strategie vorhanden, so dass feststünde, wohin die Reise gehen sollte. Doch die gab es nicht. Noch unangenehmer war die Aussicht, dass die UNO es sich durch einen hochrangigen politischen Dialog mit einer Hamas-Regierung mit vielen Beteiligten verderben würde. Israel würde meinen Beauftragten höchstwahrscheinlich nicht empfangen, und die Vereinigten Staaten gaben unmissverständlich zu verstehen, wo sie standen. Präsident Abbas blieb Chef der Palästinensischen Autonomiebehörde und der PLO , und es war wichtig, seine Stellung als Führungspersönlichkeit, die für einen gewaltfreien Weg stand, zu stützen und zu stärken. Nach meiner Ansicht mussten wir mit beiden Seiten sowie mit unseren internationalen Partnern zusammenarbeiten. Ohne eine stärkere internationale Basis würden wir bei dem Versuch, die Hamas in die politische Mitte zu drängen, wenig erreichen und möglicherweise einen hohen Preis zahlen müssen. Außerdem war ich überzeugt, dass sich die internationale Position im Lauf der Zeit den Gegebenheiten anpassen würde.
Deshalb schlug ich die Tür nicht zu und gestattete den UN -Mitarbeitern vor Ort technische Kontakte, soweit sie zur Erfüllung ihrer Mandate nötig waren. Diese Kontakte waren in den Folgejahren entscheidend für die Durchführung der UN -Programme – insbesondere im Gazastreifen, nachdem die Hamas dort Mitte 2007 die Macht übernommen hatte. Auch notwendige politische Kontakte ließ ich zu. So telefonierte mein Sonderbeauftragter mehrmals in besonderen Spannungssituationen mit dem neuen palästinensischen Ministerpräsidenten Ismail Haniyeh. Außerdem wurde ein hoher Mitarbeiter des Sonderkoordinators der Vereinten Nationen ( UNSCO ) beauftragt, Kontakt mit der Hamas-Führung aufzunehmen. Damit begann ein stiller politischer Prozess, der sich seither gefestigt hat und von verschiedenen Seiten genutzt wurde, um über bestimmte Probleme zu sprechen, von der Deeskalation gewalttätiger Vorfälle bis zum Austausch von Gefangenen.
Der Libanon: die Ermordung Hariris
Während die Palästinafrage seit dem israelischen Rückzug aus dem Gazastreifen über Jahre hinweg mein Denken beherrschte, sah ich mich am Ende meiner Amtszeit erneut mit dramatischen Ereignissen im Libanon konfrontiert.
Mehrere Jahre hatte der milliardenschwere libanesische Geschäftsmann Rafiq al-Hariri durch die schiere Kraft seiner Persönlichkeit und mit Hilfe seines immensen Reichtums das politische Leben im Libanon dominiert. Endlich einmal gab es einen sunnitischen Führer, der, soweit es möglich war, die Trennung zwischen den Glaubensbekenntnissen überwand. Als Ministerpräsident trug »Mr. Libanon« tatkräftig dazu bei, sein Land und dessen bemerkenswerte Hauptstadt Beirut aus der vom Krieg verursachten Zerrüttung herauszuführen. Der Wiederaufstieg Beiruts machte in der Tat Mut. Als ich die Stadt 1998 zum ersten Mal als Generalsekretär besuchte, um das dortige UN -Haus einzuweihen, erklärte ich: »Alle Männer und Frauen mit Hoffnung, wo immer sie leben, sind Bürger von Beirut. Deshalb sage ich als hoffnungsvoller Mensch voller Stolz: ›Ana Beiruti‹ (Ich bin ein Beiruter).«
Hariri hatte Verbindungen zu Saudi-Arabien, wo er sein Vermögen gemacht hatte, und zum Westen, hielt aber auch engen Kontakt zu Syrien, das rund 40 000 Soldaten im Libanon stehen hatte und dessen Geheimdienstchef wahrscheinlich der mächtigste Mann im Land war. Durch das 1998 geschlossene Abkommen von Taif war die militärische Präsenz Syriens als Garant der Sicherheit des Libanon legitimiert worden. In dem Abkommen war auch die Verringerung der Truppenpräsenz vereinbart worden, aber während sich das Land in den neunziger Jahren und am Anfang des 21. Jahrhunderts erholte, wurde diese Vertragsklausel nie erfüllt. Syrien rechtfertigte seine Hegemonie damit, dass sie ein Gegengewicht zur Präsenz Israels bilde.
Nach dem Abzug der
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