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Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Titel: Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kofi Annan
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zuzuschauen, wenn diese kriminellen Elemente Frauen etwas antun, Städte beschießen und Zivilisten töten. Nun haben wir in Somalia zum ersten Mal das Mandat, den Versuch zu unternehmen, einigen dieser kriminellen Elemente Einhalt zu gebieten. Ich denke, auf diese Fragen werden die Weltgemeinschaft, die Politiker und die Welt als Ganze sich einstellen müssen. Wir werden über das traditionelle UN -Konzept der Intervention hinausgehen müssen. Wenn wir angesichts massiver Menschenrechtsverletzungen und einer grauenvollen humanitären Situation intervenieren und das Mandat haben, die Lage zu bereinigen – werden wir uns dann einmischen oder nicht? Werden wir zuschauen und zulassen, dass diese Dinge weiterhin geschehen?«
    Später im Jahr stellte ich diese Frage in einem heißen Konferenzraum voller Reporter in Mogadischu erneut, allerdings verwendete ich eine stärkere Formulierung. Einige der Reporter stellten den Gewalteinsatz bei der Somalia-Mission, die draußen stattfand, in Frage. Ich wiederum versuchte, ihnen die Antwort nahezulegen, dass durchgreifendes Handeln nötig sei: »Was tun Sie«, fragte ich sie, »wenn Menschen verhungern und sterben, nicht aufgrund einer Dürre, sondern weil Menschen, eine Gruppe von Männern, sie daran hindern, Lebensmittel zu bekommen? Was tun Sie? Einfach dasitzen? Verhandeln? Oder was?« Niemand im Raum antwortete mir, doch allmählich setzte ein Umdenken ein.
    1995 wurde ich zum Sonderbeauftragten für das ehemalige Jugoslawien und die NATO ernannt. Im selben Jahr drängte ich bei der feierlichen Übergabe der Militärverantwortung in Bosnien von der UNO an die NATO nach dem Dayton-Abkommen erneut darauf, über den hohen Preis nachzudenken, den ein Volk in einem Konflikt zahlen muss, diesmal in Bosnien: »Im Rückblick sollten wir uns daran erinnern, wie wir auf das eskalierende Grauen der vergangenen vier Jahre reagiert haben, und uns die Frage stellen: Was habe ich getan? Hätte ich mehr tun können? Hätte ich etwas ändern können? Ließ ich zu, dass meine Vorurteile, meine Gleichgültigkeit oder meine Furcht stärker waren als mein Verstand? Wie werde ich das nächste Mal reagieren?« Mir war durchaus bewusst, dass ich damit implizit auch unsere eigene Politik der Neutralität gegenüber den Kriegsparteien im Bosnienkrieg verurteilte. Sie hatte uns zu lange zu passiven Zuschauern der von den Serben betriebenen »ethnischen Säuberung« gemacht. Mir war klar, dass es in einer von Bürgerkriegen zerrissenen Welt nicht das letzte Mal gewesen war, dass unsere Prinzipien und Praktiken in Bezug auf die staatliche Souveränität auf die Probe gestellt worden waren.
    Der Punkt war, dass sich das Umfeld verändert hatte – wir hatten es in Bosnien erlebt und sollten es später im Kongo und in anderen Konflikten, in denen Neutralität und »keine Parteinahme« bei der Stationierung von Friedenstruppen nicht funktionierten, wieder erleben. Tatsächlich konnte das Festhalten an der eigenen Neutralität, wenn auch unabsichtlich, dazu führen, dass den Aggressoren Vorschub geleistet und die Opfer bestraft wurden. In manchen Fällen mussten wir handeln, um eine Aggression zu beenden und Unschuldige zu schützen, das heißt, wir mussten weit über die traditionellen Formen der UN -Intervention hinausgehen.
    Kosovo: die Wiederkehr der Balkankriege
    In dem Jahr vor dem Referendum in Osttimor und den darauf folgenden Gewalttätigkeiten hatte die Welt eine schwere Krise im Kosovo erlebt. Auch dort war eine ethnische Minderheit wegen ihres Wunsches nach Selbstbestimmung mit groben Menschenrechtsverletzungen bestraft worden. Was den Kosovo für uns alle heraushob – die Vereinten Nationen, Europa, die NATO und die USA –, war die Tatsache, dass es sich um eine nur allzu vertraute Krise handelte, mit einem nur allzu bekannten Täter, der eine weitere Balkanregion in Brand steckte.
    Im Fall des Kosovo hatten wir es mit einer Region zu tun, die sich seit mehreren Jahren im Krieg befand und vor allem unter dem Verhalten eines Staates und eines Politikers, der immer noch am Ruder war, zu leiden hatte. Dieser Politiker war Slobodan Miloševi ć , und sein Augenmerk war jetzt auf den Kosovo gerichtet. Nach Bosnien hatten wir allen Grund anzunehmen, dass die albanische Bevölkerung des Kosovo eine ähnliche Behandlung erfahren würde wie die Bosnier, falls die Weltgemeinschaft nicht einschritt. Während die Krise im Kosovo eskalierte, war uns das Beispiel Bosniens stets gegenwärtig. Die

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