Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)
vorherrschende Stimmung war, dass wir nicht einfach zuschauen durften, während die Serben den Kosovoalbanern das Gleiche antaten wie den Bosniern.
Niemand in der Weltgemeinschaft vertraute Miloševi ć – nicht einmal seine Verbündeten, die Russen –, und kaum jemand glaubte daran, dass man ihn von den Vorzügen eines friedlichen Kompromisses in Bezug auf das Kosovo überzeugen könnte. Während ich die Regierungen vor Miloševi ć s Neigung zu Fehlkalkulationen warnte, wusste ich andererseits auch, dass er ein meisterhafter Manipulator sein konnte. Er hatte mir mehr als einmal gesagt, dass er das Kosovo als Wiege der serbischen Kultur betrachte und eine Abtrennung von Serbien niemals zulassen werde. Im Jahr 1389 hatten die Osmanen die Serben in der Schlacht auf dem Amselfeld im Kosovo besiegt und damit die Grundlage für die fast fünfhundertjährige osmanische Herrschaft über das Land gelegt. Miloševi ć hatte die mythische Bedeutung, die das Kosovo seither für die Serben besaß, geschickt ausgenutzt und 1989 bei einem Besuch im Kosovo die ethnischen Spannungen angefacht, indem er seinen serbischen Zuhörern versicherte: »Niemand hat das Recht, euch zu schlagen.« Diesen Moment betrachtet man heute als Auslöser des Bosnienkrieges.
Drei Jahre nach dem Ende des Bosnienkrieges, Anfang 1998, verschärften sich im Kosovo die Spannungen zwischen serbischen Truppen und albanischen Milizen, die für die Unabhängigkeit des Kosovo kämpften. Miloševi ć s Reaktion auf den Widerstandskampf der Befreiungsarmee des Kosovo ( UÇK ) war ebenso brutal wie vertraut. Anstatt eine friedliche Lösung des Streits anzustreben – oder seine Wut auf die Bewaffneten in den Milizen zu richten –, setzte er eine umfassende »ethnische Säuberung« in Gang und machte so Hunderttausende von Zivilisten zu potentiellen Opfern.
Die Kampagne schien vor allem ein Ziel zu haben: so viele Albaner wie möglich aus dem Kosovo zu vertreiben oder zu töten. Infolgedessen geriet die Bevölkerung im Kosovo in akute Not, und für die Region bedeutete es eine humanitäre Katastrophe. Diesmal befanden Großbritannien, Frankreich und Deutschland, dass die Zukunft Europas von einer machtvollen Antwort auf Miloševi ć s Kampagne abhänge. Sie begannen, zumeist durch die NATO , damit zu drohen, dass man einen gegen Zivilisten gerichteten Balkankrieg nicht dulden werde. Für die Vereinten Nationen stellte die Krise eine anders gelagerte, wenn auch ebenso schwerwiegende Herausforderung dar. Da wir vor Ort nicht präsent waren, konnten wir der Zivilbevölkerung auch keine Hilfe anbieten. Deshalb konnten unsere Interventionen nur politischer und diplomatischer Art sein – durch meine öffentlichen Erklärungen und unsere Arbeit mit dem Sicherheitsrat –, um die Weltgemeinschaft hinter dem Ziel zu vereinigen, die Verletzungen der Menschenrechte zu beenden und einen größeren Krieg zu verhindern.
Seit Anfang 1998 gelang es uns, den Kosovo auf die Tagesordnung des Sicherheitsrats zu setzen, was es uns ermöglichte, ihm regelmäßig Berichte über die dortigen Entwicklungen vorzulegen. Bis zum Sommer jenes Jahres waren rund 200 000 Kosovaren auf der Flucht, ungefähr zehn Prozent der Bevölkerung. In jener Zeit begann ich häufiger über die Notwendigkeit zu sprechen, ein weiteres Bosnien zu verhindern. Während sich die Krise im Sommer und Herbst 1998 verschärfte, beschloss ich, die Vereinten Nationen diesmal eindeutig an die Seite der Opfer der Aggression zu führen und der fadenscheinigen Propaganda Belgrads keinerlei Legitimation zu gewähren. Das erwies sich als schwieriger Balanceakt, da die Forderung Europas und der Vereinigten Staaten, zu handeln, auf den unerschütterlichen Widerstand Russlands stieß, das Serbien immer noch als wichtigen Verbündeten betrachtete und nicht noch einmal mitansehen wollte, dass Miloševi ć wie am Ende des Bosnienkrieges abgestraft wurde.
Ich beschloss aus zwei Gründen, meine Stimme zu erheben: Erstens konnten Terror und Gewalt und ein größerer Krieg – einschließlich eines aus humanitären Gründen geführten Krieges – meiner Meinung nach am besten verhindert werden, indem man Miloševi ć vor Augen führte, dass es ihm nicht gelingen werde, die Vereinten Nationen oder wenigstens deren Generalsekretär durch einen sich hinziehenden diplomatischen Tanz abzulenken, während seine Truppen im Kosovo wüteten. Eine internationale Einheitsfront würde ihn, so glaubte ich, zur baldigen Aufgabe seiner
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