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Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Titel: Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kofi Annan
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fügte hinzu, »Ich bin zwar Republikaner, aber wir müssen das Ansehen der Regierung wahren«, denn sonst »würde die Stellung der USA weltweit Schaden nehmen«.
    Daraufhin änderte Albright die Richtung, indem sie mich aufforderte, den finnischen Präsidenten Martti Ahtisaari neben dem russischen Gesandten Tschernomyrdin zum UN -Gesandten zu ernennen. Obwohl ich gegen die Mitwirkung meines Freundes Ahtisaari nichts einzuwenden hatte, bereitete mir das dadurch zu erwartende Durcheinander an der Gesandtenfront Sorgen. Andererseits hatten die Russen angedeutete, dass Ahtisaaris Beteiligung die jugoslawische Bereitschaft zu einer Übereinkunft erhöhen könnte. Dann erhielt ich einen Anruf vom stellvertretenden US -Außenminister Strobe Talbott, der mir mitteilte, Washington habe seine Haltung zu Bildts Ernennung geändert, was, wie ich vermutete, Kissingers Intervention zu verdanken war.
    Am 9. Mai rief mich Javier Solana an und erklärte mir, die Situation habe sich in einen »Alptraum« verwandelt. Bei einem NATO -Luftschlag war die chinesische Botschaft in Belgrad getroffen worden, was Peking in Rage versetzt hatte und in Europa und anderswo Zweifel am Sinn und Nutzen der Luftangriffe schürte. Albright bat mich telefonisch, mit den Chinesen zu sprechen und ihnen zu sagen, dass es aus Sicht der USA »verrückt wäre, die chinesische Botschaft absichtlich zu bombardieren«. Bildt sorgte kurze Zeit später dafür, dass die amerikanischen Sorgen hinsichtlich seiner direkten Art bestätigt wurden, indem er öffentlich die Frage stellte, was wohl geschehen wäre, wenn China eine amerikanische Botschaft bombardiert hätte. So begründet seine Frage gewesen sein mochte, sie entsprach nicht dem Vorgehen, durch das wir eine konstruktive Rolle bei der Beendigung des Kosovokrieges spielen konnten. Unsere Anstrengungen durften nicht zur Ablenkung von den wahren Kriegsgründen beitragen, was allein Miloševi ć s Zwecken diente und seine Kapitulation hinauszögern würde. Fünf Tage später sagte ich zu Bildt: »Weder Sie noch Kukan werden nach Belgrad reisen. Und ich werde nicht die Beendigung der Luftangriffe verlangen.«
    Gegen Ende des zweiten Monats nach Beginn der Militärkampagne nutzte ich am 18. Mai die Gelegenheit einer Rede auf der Hundertjahrfeier der Friedenskonferenz von 1899 in Den Haag, um die Argumentation für Interventionen einen Schritt voranzubringen. Ich lenkte die Aufmerksamkeit auf die Dilemmas, in denen sich die Staatskunst infolge der ohne Zustimmung des Sicherheitsrats durchgeführten NATO -Luftangriffe befand. Wenn man die überragende Stellung des Sicherheitsrats als einziger Quelle der Legitimität von Gewalteinsätzen nicht wiederherstelle, warnte ich, beschreite man »einen gefährlichen Weg, der zur Anarchie führt«. Ebenso wichtig, fügte ich hinzu, sei es jedoch, dass sich der Sicherheitsrat hinter das Ziel stelle, massiven Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit von einem Ausmaß, wie es im Kosovo zu beobachten sei, entgegenzutreten. Alles andere wäre ein Verrat an den Idealen, die das Fundament der Vereinten Nationen bildeten.
    Von Den Haag reiste ich nach Mazedonien und Albanien, um mir selbst einen Eindruck von den humanitären Folgen des Krieges zu verschaffen und einige der Flüchtlingslager zu besuchen, die inzwischen rund 200 000 Flüchtlinge beherbergten. Vor dem Hintergrund von donnernden Düsenflugzeugen und dem Krachen explodierender Bomben machte ich mich auf den Weg in das Kosovo. Als wir uns dem Grenzposten näherten, sah ich eine scheinbar endlose Flüchtlingsschlange die Straße entlanggehen, Männer und Frauen jeden Alters, Kinder mit ihren wenigen Habseligkeiten auf dem Arm. Nane und ich sprachen mit einem zehnjährigen Jungen, der hilflos weinend neben einer hundertjährigen Frau saß, die ein ums andere Mal fragte: »Warum passiert uns das, warum passiert uns das?« Dann sah sie mich an und fragte mich, ob ihr Leben auf diese Weise enden würde. Wieder einmal hatte Miloševi ć unter völliger Missachtung des Lebens und der Würde eines Bevölkerungsteils des ehemaligen Jugoslawien gehandelt, und da die Luftangriffe ihn offenbar nicht zum Einlenken bewegen konnten, war es in jenem Augenblick schwer, der Frau echte Hoffnung zu geben. In dem Chaos um uns herum und in der herzzerreißenden Verzweiflung in den Augen der Frau spiegelte sich das Äußerste dessen, was mit Gewalt allein erreicht werden kann.
    Aber die Hoffnung kehrte wieder. Wenige

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