Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Titel: Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kofi Annan
Vom Netzwerk:
Tage später, am 22. Mai, klagte das Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien Miloševi ć wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit an. Dann kam Miloševi ć am 3. Juni, nachdem die NATO 78 Tage lang Luftangriffe geflogen hatte, endlich mit Tschernomyrdin und Ahtisaari zusammen und gab – zu ihrer großen Überraschung – abrupt den Forderungen der Weltgemeinschaft nach. Eine Woche darauf billigte der Sicherheitsrat mit vierzehn zu null Stimmen, bei nur einer Enthaltung, die Entsendung einer internationalen Militärtruppe unter Führung der NATO und einer von der UNO geführten zivilen Mission, um eine Interimsverwaltung in dem Gebiet zu organisieren. Die serbische Kampagne war beendet, Miloševi ć musste sich vor einem Gericht verantworten, und den Kosovaren wurde sicheres Geleit zu ihren Häusern zugesichert und die Gelegenheit gegeben, mit internationaler Hilfe ihre Gesellschaft wiederaufzubauen.
    Am Schluss meines Berichts über den Fall von Srebrenica hatte ich die Weltgemeinschaft aufgefordert, die zentrale Lehre aus den Ereignissen zu ziehen, dass nämlich »einem absichtlichen, systematischen Versuch, ein ganzes Volk zu terrorisieren, zu vertreiben oder zu ermorden, mit allen nötigen Mitteln und mit dem politischen Willen, die Politik bis zu ihrer logischen Konsequenz zu treiben, entschieden entgegengetreten werden muss«. Im Kosovokonflikt beherzigte die Weltgemeinschaft diese Lehre, wie spät und unvollkommen auch immer. Die NATO -Intervention hatte viele Mitglieder der Weltgemeinschaft vor ein Problem gestellt, denn einerseits beharrten sie auf dem Prinzip, dass militärische Aktionen im Rahmen des Völkerrechts stattfinden sollten, aber andererseits fiel es ihnen immer schwerer, das Recht von Regierungen zu akzeptieren, unter dem Deckmantel staatlich-souveräner Immunität die Menschenrechte ihrer Bürger zu verletzen. Letzten Endes hatte die Weltgemeinschaft bewiesen, dass sie jetzt willens war, diese Praxis auf dem Balkan zu beenden, wo UNO , USA und EU noch zu Beginn der neunziger Jahre in Bosnien nicht bereit gewesen waren, einem grausamen ethnischen Krieg ein Ende zu setzen. Die Menschen im Kosovo hatten einen hohen Preis für das Zögern der Weltgemeinschaft gezahlt, aber wenigstens hatten sich das Tempo und die Entschiedenheit der Reaktion geändert.
    Die Rettung einer Nation: Osttimor
    Dili, die winzige, bettelarme, entlegene Hauptstadt von Osttimor, hätte nicht weiter von den Großstädten Europas entfernt sein können, in denen im Frühjahr und Sommer 1999 über das Schicksal der Menschen im Kosovo entschieden wurde. Obwohl die Balkankriege in den frühen neunziger Jahren mit rücksichtsloser Effizienz ausgebeutete ethnische Differenzen ins Bewusstsein der Weltgemeinschaft gerückt hatten, nahm diese die Leiden der Osttimorer, die in einem vergessenen Konflikt gefangen waren, kaum wahr.
    Die ehemalige portugiesische Kolonie Osttimor war 1976 von Indonesien durch einen blutigen, grausamen Feldzug annektiert worden. Die Vereinten Nationen hatten die indonesische Souveränität über Osttimor nie anerkannt, und in den Jahren der Repression und Ausbeutung, in denen schätzungsweise 100 000 bis 250 000 Osttimorer ums Leben kamen, war Portugal eines der wenigen Länder gewesen, die versuchten, die Aufmerksamkeit der Welt für das Recht der Osttimorer auf Selbstbestimmung wachzuhalten.
    Mein Vorvorgänger im Amt des Generalsekretärs, Pérez de Cuéllar, hatte 1983 Gespräche zwischen Indonesien und Portugal vermittelt, doch sie hatten wenig, wenn überhaupt etwas gebracht. Als ich 1997 ins Amt kam, waren die schleppenden Verhandlungen über Osttimor eines der Gebiete, denen ich einen neuen Impuls geben wollte. Ich ernannte den Pakistaner Jamsheed Marker zu meinem persönlichen Beauftragten, und gemeinsam belebten wir die Verhandlungen neu und drängten auf kühne Schritte unter Beteiligung der Osttimorer. Nach dem Ende des Kalten Krieges, dem Massaker von Santa Cruz im Jahr 1991 und der Verleihung des Friedensnobelpreises an Bischof Carlos Ximenes Belo und José Ramos-Horta musste Indonesien gewarnt sein, dass die Weltgemeinschaft die Legitimität seiner Herrschaft über Osttimor ohne Zustimmung der Bevölkerung nicht ohne Weiteres hinnehmen würde.
    Als 1998 das Suharto-Regime beendet wurde und B. J. Habibie an die Macht kam, eröffneten sich neue Möglichkeiten. Habibie erklärte, er werde eine Abstimmung oder ein Referendum über den künftigen Status des Territoriums – über

Weitere Kostenlose Bücher