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Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Titel: Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kofi Annan
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wenn die nötigen Sicherheitsbedingungen für eine friedliche Stimmabgabe nicht erfüllt waren. In einem Brief an Habibie benannte ich die Elemente, die ein friedliches Umfeld gewährleisten würden. So sollten in einem dringend gebotenen ersten Schritt die Milizen vor der Abstimmung unter strenge Kontrolle gebracht werden, und das indonesische Militär sollte sich in bestimmte Gebiete zurückziehen. Als die indonesische Regierung darauf nicht einging, legte ich dieselben Elemente in einem an beide Seiten gerichteten Memorandum nieder, um alle darüber in Kenntnis zu setzen, welche Erwartungen ich in Bezug auf die Sicherheitsbedingungen hegte. Am Ende wurden diese Bedingungen nicht erfüllt. Aber angesichts der historischen Chance, die Habibies Zustimmung zu dem Vorhaben, das Volk von Osttimor selbst über seinen künftigen Status entscheiden zu lassen, darstellte und mit Rücksicht auf die Bitte der timoresischen Führung, die Abstimmung nicht hinauszuschieben, beschlossen wir, die Vorbereitungen weiter voranzutreiben.
    Als ich sechs Tage vor der Abstimmung, am Morgen des 24. August, mit Habibie sprach, um ihm für seine Anstrengungen zu danken, hob ich besonders die Sicherstellung eines »friedlichen Umfelds« hervor. Auf diese Weise wollte ich ihm zu verstehen geben, wie besorgt ich über die zunehmende Gewalt war. Am 26. August gab ich eine Erklärung heraus, in der ich die bekannt gewordenen Gewalttätigkeiten verurteilte, und am Vorabend des Referendums forderte ich in einer weiteren Erklärung einen friedlichen Verlauf der Abstimmung und warnte die indonesische Regierung vor Einschüchterungsversuchen und Gewalttätigkeiten gegenüber den Osttimorern.
    In diesem von Misstrauen, Gefahr, Gewalt und Einschüchterung geprägten Klima stimmte das Volk von Osttimor am 30. August 1999 mit überwältigender Mehrheit für die Unabhängigkeit. Fast achtzig Prozent der Wähler sprachen sich für die Trennung von Indonesien aus. Die Abstimmung war überwiegend friedlich und geordnet verlaufen. Nach der Bekanntgabe des Resultats am 4. September entfesselten die von Indonesien unterstützten Milizen jedoch aus Wut und Empörung eine Mord- und Zerstörungskampagne und verwüsteten weite Teile des zuvor schon bettelarmen Territoriums.
    Im UN -Hauptquartier in New York fühlten wir ebenso wie die UN -Vertreter vor Ort eine schreckliche Verantwortung auf uns lasten. Wir hatten den Osttimorern eine Volksabstimmung über ihre Zukunft ermöglicht; sie war friedlich verlaufen, und niemand konnte behaupten, dass wir eine andere Wahl gehabt hätten, als das Beharren der indonesischen Regierung auf ihrem Sicherheitsmonopol zu akzeptieren. Wir hatten dem Volk von Osttimor jeden Grund zu der Annahme gegeben, dass wir das Referendum organisiert hatten, damit es in Frieden und Sicherheit selbst über seine Zukunft entscheiden konnte. Doch jetzt war es zum Vorwand für ein furchtbares Gemetzel durch Milizen und indonesische Truppen geworden. Bei mir rief dies die Erinnerung an die dunkelsten Momente der Geschichte der Friedenssicherung wach, als es unseren Truppen in Konfliktgebieten aufgrund begrenzter Mandate und unzureichender Ressourcen unmöglich war, Zivilisten zu helfen, die annehmen mussten, wir seien dort, um sie zu schützen und nicht nur uns selbst.
    Diesmal ging es im Unterschied zum Kosovo nicht einfach darum, die Bühne der Vereinten Nationen zu nutzen, um das Verständnis von Souveränität und Intervention zu verändern. Angesichts unserer zentralen Rolle bei den Verhandlungen über das Referendum und dessen Organisation sowie unserer Präsenz vor Ort war mir klar, dass ich durch meine eigene Intervention den Verlauf der im Gang befindlichen Tragödie beeinflussen konnte. Ich begann rund um die Uhr Sitzungen abzuhalten und Telefongespräche zu führen, darunter Gespräche mit den Staats- und Regierungschefs der Vereinigten Staaten, von Indonesien, Australien, Großbritannien, Portugal, Malaysia, Thailand und vielen anderen Ländern.
    Beim Ausbruch der Gewalttätigkeiten hatten wir, abgesehen von Verbindungsoffizieren zum Militär und politischen Beratern, keine Militär- oder Polizeikräfte vor Ort. Wir brauchten dringend Hilfe, und so verfolgte ich über zwei Wochen hinweg zwei unterschiedliche Strategien. Die New Yorker Nächte, wenn es in Indonesien Tag war, widmete ich Telefongesprächen mit Habibie, in denen ich ihm klarzumachen versuchte, wie wichtig die Wiederherstellung der Sicherheit in Osttimor war. Nacht für

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