Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)
reiste, um die Unabhängigkeit des Landes zu feiern, indem ich die UN -Fahne einholte und die timoresische Fahne hisste, erinnerte ich in meiner Ansprache an die Aufregung und den Optimismus, die vor 45 Jahren geherrscht hatten, als mein eigenes Land unabhängig geworden war. Bei der Unabhängigkeitszeremonie um Mitternacht im Hauptstadium von Dili sprach Gusmão dann in kraftvollen Worten über die Aussichten seines Landes: »Wir haben die Unabhängigkeit gewonnen, um unser Leben zu verbessern. Ich appelliere an jeden von uns, insbesondere an die Führer: Disziplin, um unsere Macht zu stärken, Toleranz, um die Demokratie zu stärken, Versöhnung, um die Einheit zu stärken!«
Für die Vereinten Nationen stellte dieses Ereignis eine bedeutende Leistung dar. Es war ein Zeugnis unserer Fähigkeit, das Schicksal von bedrängten Nationen zu ändern – wenn wir den Willen der Weltgemeinschaft auf die Prinzipien der Menschenrechte und der Selbstbestimmung auszurichten vermögen – und sie dann zur Selbstregierung zu führen. Wir hatten unser Wort gegenüber dem Volk von Osttimor gehalten und in der Stunde der größten Not zu ihm gestanden, indem wir durch eine diplomatische Kampagne die Zustimmung Indonesiens zu einer internationalen Mission erhalten hatten. Die Morde, Plünderungen und Brandstiftungen waren durch unser Eingreifen beendet und das Land von der Schwelle des Zusammenbruchs auf den Weg der Selbstbestimmung zurückgeführt worden. Die Osttimorer hatten einen furchtbaren Preis dafür gezahlt. Aber in einer Welt, in der es viel zu wenige Beispiele dafür gibt, dass die Forderungen eines Volks nach Sicherheit und Selbstbestimmung tatsächlich in Erfüllung gehen können, hatten wir einen seltenen Sieg errungen.
Schutzverantwortung: Intervention als Fürsorgepflicht
Der Durchbruch in Djakarta bildete den ebenso dramatischen wie hoffnungsvollen Hintergrund der Generalversammlung der Vereinten Nationen im September 1999. In den vorangegangenen anderthalb Jahren war die Welt Zeuge zweier Krisen geworden – im Kosovo und in Osttimor –, die eine globale Debatte über Intervention und Souveränität, das Recht von Völkern und die Pflichten von Staaten ausgelöst hatten. Ich hatte in beiden Krisen meine intensiven diplomatischen Anstrengungen – und im Fall von Osttimor spielte die UNO eine entscheidende Rolle – mit der Absicht verknüpft, die Frage der Intervention neu zu stellen und die Vereinten Nationen wieder zu dem Forum zu machen, auf dem die Grenzen dessen gezogen wurden, was Staaten innerhalb ihrer Territorien tun durften. Unterdessen hatte ich mich bemüht, die Komplexität und die widersprüchlichen Erfordernisse von Interventionen miteinander in Einklang zu bringen – im Sinne einer Grundsatzfrage, aber auch im Kontext einer vielfältigen Weltgemeinschaft, in der es unterschiedliche, tief verwurzelte Ansichten zu dem Thema gab.
Letztlich sollte der Erfolg unserer Anstrengungen in dieser Frage nicht an den geführten Kriegen oder den verhängten Sanktionen gemessen werden, sondern an den geretteten Menschenleben. Und am meisten Leben können gerettet werden, wenn es uns gelingt, das Verhalten potentieller Konfliktparteien zu ändern, bevor eine Intervention nötig wird. Prävention ist kompliziert und kann viele Formen annehmen. Eine Form ist unermüdliche, entschlossene Diplomatie an offensichtlichen Bruchlinien potentieller Konflikte. Diese Philosophie der präventiven Intervention wandte ich später auf einen verdeckten – aber dennoch sehr realen – Konflikt über die Halbinsel Bakassi an, auf die sowohl Nigeria als auch Kamerun Anspruch erhoben.
Aufgrund dieses Gebietsstreits bestanden seit langem Spannungen zwischen Nigeria und Kamerun, und ein im Jahr 2002 erwarteter Entscheid des Internationalen Gerichtshofs ( IGH ) über den Status der Halbinsel versetzte Bevölkerungsgruppen auf beiden Seiten, einschließlich der Bewohner von Bakassi, in Wut. Es drohten also sowohl innere Unruhen als auch zwischenstaatliche Auseinandersetzungen. Ich hatte oft genug miterlebt, wie kompliziert solche Konflikte wurden, wenn sie erst einmal ausgebrochen waren; deshalb unternahm ich lange vor der Bekanntgabe des IGH -Urteils Schritte, um diplomatische Strukturen und Dialogwege zwischen den Parteien zu schaffen, damit diese umstrittene Frage friedlich gelöst werden konnte. Im Lauf der folgenden Jahre gelang es uns durch unsere diplomatischen Anstrengungen und infolge der Durchbrüche im
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