Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)
Wie die Ereignisse im Kosovo und in Osttimor gezeigt hatten, können die realen Machtverhältnisse, der Einsatz von Gewalt sowie politische Entschlossenheit gelegentlich eine nahezu perfekte Kombination bilden, die bewirkt, dass die Rhetorik vom Engagement für den Schutz von Zivilisten vor groben Menschenrechtsverletzungen in der Wirklichkeit tatsächlich ihre Entsprechung findet.
Aber falls es noch eines Beweises für die Grenzen des neuen Verständnisses von Souveränität und Intervention bedurft hätte, oder falls jemand daran gezweifelt haben sollte, wie heikel die stets vorhandene Frage des politischen Willens war, dann fanden beide Punkte Bestätigung durch die Ereignisse in der entlegenen sudanesischen Provinz Darfur. Sie zeigten, wie weit eine Regierung bei der Verfolgung der eigenen Bevölkerung gehen kann und wie wenig die Welt gelegentlich zu unternehmen bereit ist.
Darfur: das Schutzversagen
Gerade als der Gedanke der Schutzverantwortung in der internationalen Diplomatie und im Denken der Staatsmänner Fuß zu fassen begann, versagte der Schutz von Zivilisten in der Praxis auf verheerende Weise und für qualvoll lange Zeit, wie kaum zuvor in der Geschichte. Ort des Geschehens: Darfur.
Im Dezember 2003 äußerte ich zum ersten Mal meine Sorge über die Lage in Darfur. Da der Sicherheitsrat jedoch nicht willens war, die komplizierten und schwerwiegenden Forderungen Darfurs auf die Tagesordnung zu setzen, konnte ich in dieser sich endlos hinziehenden Periode nicht viel mehr tun, als mit Appellen an die Öffentlichkeit zu treten und Verhandlungen zu führen, obwohl ich weder über eine Peitsche noch über Zuckerbrot verfügte. Hatte in Ruanda die Intensität der Ereignisse erschüttert, die in nur hundert Tagen 800 000 Menschenleben forderten, so war es in Darfur die Dauer. Nach Ansicht vieler begann der Konflikt am 26. Februar 2003 – nur wenige Tage, bevor die Vereinigten Staaten und Großbritannien ohne Billigung des Sicherheitsrats in den Irak einmarschierten –, als eine weitgehend unbekannte Rebellengruppe einen kleinen Flugplatz in einer entlegenen Ecke von Darfur überfiel. Damals nahm kaum jemand davon Notiz, auch die UNO nicht.
Obwohl die sudanesische Regierung erst Wochen und Monate später reagierte, war das Leben der Bevölkerung von Darfur bereits seit Jahren von Unsicherheit und Gewalt geprägt. Schon seit langem waren ihre Dörfer, ihre Lebensgrundlage und ihr Leben das Ziel sporadischer Übergriffe. Das Fehlen jeder Spur von Rechtsstaatlichkeit und Schutz durch die Regierungsmacht war ein Grund für die Rebellion, die den Konflikt auslöste. Aber was in den Monaten nach dem 26. Februar 2003 geschah, war ein quälend langer, immer weiter um sich greifender Krieg, der ungeheure Menschenrechtsverletzungen mit sich brachte.
Schon vor dem Gewalteinsatz im März 2003 war die sudanesische Regierung in mehrere andere gewalttätige Konflikte innerhalb der Grenzen des Landes verstrickt, die den größten Teil ihrer Streitkräfte banden. Einer von ihnen war der Konflikt im Osten, an der Grenze zu Eritrea. Vor allem aber hatte die Regierung mit den Nachbeben des seit zwanzig Jahren tobenden Bürgerkriegs mit einer sezessionistischen Bewegung im Süden zu tun, der in der Endphase eines sich mühselig hinschleppenden Friedensprozesses war. Zu diesen Kriegen kam jetzt noch ein weiterer und höchst explosiver Aufstand von Angehörigen der nichtarabischen Bevölkerung Darfurs hinzu. Unter diesen Umständen und angesichts der angespannten militärischen Ressourcen, begann die sudanesische Regierung Mitte 2003 eine Strategie für die Aufstandsbekämpfung in Darfur zu entwickeln: einen Krieg, der von Stellvertretern geführt wurde und unendliche Gräueltaten umfasste. Um die Bedrohung durch den Aufstand in Darfur auszuschalten, ließ die Regierung eine gesetzlose Koalition von Stellvertretern von der Leine. Es war ein Krieg, der durch lokale Milizen, bewaffnete Banden und andere Stammesgruppen geführt wurde. Er veränderte und verlagerte sich ständig, stellte aber insgesamt eine schreckenerregende, verheerende Kraft dar, die sich gegen die Bevölkerung von Darfur richtete. Ende 2003 wurde allmählich auch die Weltgemeinschaft auf diese Entwicklung aufmerksam. Zu diesem Zeitpunkt begannen meine führenden Mitarbeiter die Weltgemeinschaft öffentlich darauf hinzuweisen, dass in Darfur etwas Furchtbares geschah.
Kernkomponente der marodierenden Armee aus Banden und Stammeskämpfern waren die Kamele
Weitere Kostenlose Bücher