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Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Titel: Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kofi Annan
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gegen die Vereinten Nationen richte. Ich könne das Leben unserer Mitarbeiter nicht länger aufs Spiel setzen. Darauf entgegnete er, dass die Ankunft australischer Truppen einen Krieg heraufbeschwören könnte. Ich beendete das Gespräch, indem ich Habibie sagte, er habe 48 Stunden, um die Lage zu verbessern; andernfalls würde ich die Weltgemeinschaft auffordern, Frieden und Sicherheit wiederherzustellen.
    Am selben Vormittag noch rief ich US -Präsident Clinton an, um ihn über diese Fristsetzung zu informieren. Er leistete uns nützliche Hilfe, indem er die indonesische Regierung wissen ließ, dass sie die künftige militärische Kooperation der USA sowie Kredite von Weltbank und Internationalem Währungsfonds gefährde, wenn sie eine Eskalation der Gewalttätigkeiten zulasse. Meinerseits sprach ich in einem Interview die Warnung aus, dass Militär- und Staatsführer für Verletzungen der Menschenrechte individuell zur Rechenschaft gezogen werden könnten.
    In den nächsten 48 Stunden traf eine Delegation des Sicherheitsrats unter Leitung des namibischen Botschafters Martin Andjaba, zu der unter anderen der britische UN -Botschafter Jeremy Greenstock gehörte, zusammen mit dem Oberbefehlshaber der indonesischen Streitkräfte, General Wiranto, in Osttimor ein. Letzterer war offensichtlich peinlich berührt von der Gesetzlosigkeit, die seine Offiziere hatten einreißen lassen. »Dieser Ort ist unwirklich«, berichtete Greenstock in einem Telefongespräch aus Djakarta. »Der Präsident hat das Heft nicht in der Hand. Die Leute, die es in der Hand haben, erzählen eine Menge Lügen. Es besteht nicht der geringste Zweifel daran, dass die Gewalttätigkeiten inszeniert sind.«
    Greenstocks Analyse wurde am selben Tag noch durch einen einzigen symbolischen Mord bestätigt: die Tötung von Gusmãos 84-jährigem Vater durch proindonesische Milizionäre. Das Telefongespräch, in dem ich Gusmão mein Beileid ausdrückte, war eines der schwierigsten Telefonate, die ich als Generalsekretär führen musste. Er erwiderte, sein Vater sei einer von viel zu vielen Zivilisten, die in Osttimor schon gestorben seien, und wandte sich rasch wieder dem Konflikt als Ganzem zu: »Ich weiß, Sie tun alles für uns, aber ich habe den Eindruck, dass die Lage sich verschlechtert. Ich weiß nicht, wie lange das Kriegsrecht noch aufrechterhalten wird. Ich möchte Sie bitten, eine Frist zu setzen. Das Kriegsrecht in Osttimor ist schwer zu akzeptieren.« Ich teilte ihm mit, dass ich Habibie eine Frist von 48 Stunden gesetzt hatte, nach deren Ablauf er den Einsatz einer internationalen Interventionstruppe würde hinnehmen müssen. Am Ende des Gesprächs kam er noch einmal auf seinen Vater zu sprechen: »Er war ein kleiner Teil des Volks von Osttimor. Haben Sie vielen Dank für Ihre Solidarität.«
    Solidarität reichte natürlich nicht aus. Um zu erreichen, dass der Druck auf Indonesien einen Politikwechsel bewirkte, beschloss ich, von der persönlichen Gesprächsebene zur öffentlichen Diplomatie überzugehen. In einer Pressekonferenz in New York legte ich den anwesenden Journalisten dieselben Argumente dar, mit denen ich Habibie zu überzeugen versucht hatte, damit sie diese in ihren Ländern und auf der ganzen Welt verbreiteten. Unter den Augen der Welt, erklärte ich, würden die Osttimorer zu Opfern einer Orgie des Plünderns, Brandstiftens und Mordens, nur weil sie an einer von den Vereinten Nationen organisierten Abstimmung teilgenommen hatten. Es sei eindeutig an der Zeit, dass Indonesien die Hilfe der Weltgemeinschaft in Anspruch nehme, um seiner Pflicht, für die Sicherheit des Volks von Osttimor zu sorgen, Genüge zu leisten. Djakarta müsse internationale Truppen ins Land lassen, sonst werde es der Verantwortung für Geschehnisse, die mittlerweile möglicherweise das Ausmaß von Verbrechen gegen die Menschlichkeit erreicht hatten, nicht entkommen.
    Als ein Reporter mich fragte, warum die Weltgemeinschaft noch die Zustimmung Indonesiens einhole, bevor sie eingreife, nutzte ich die Gelegenheit, um die Presse – und unser eigenes Team in der UNO – an die Umstände und Bedingungen dieser Intervention zu erinnern: »Die Frage, warum man nicht einfach eingreift, ist leicht zu beantworten. Um einzugreifen, muss man eine Truppe haben, und Regierungen müssen bereit sein, einzugreifen. Wir alle sprechen von den Vereinten Nationen und der Weltgemeinschaft. Aber die Weltgemeinschaft besteht aus Regierungen – Regierungen mit der Fähigkeit und

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