Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)
muss man widerstehen, denn sie verhilft einem lediglich zu einer augenblicklichen persönlichen Befriedigung, während man dem eigentlichen Ziel, der Hilfe für die Opfer vor Ort, keinen Deut näherkommt.
Nach dem erschreckenden Telefonanruf von Gusmão am 5. September, in dem er vor einem Genozid an seinem Volk gewarnt hatte, rief ich Habibie an, um ihm mitzuteilen, dass die Weltgemeinschaft über die Verschlechterung der Lage in zunehmendem Maß beunruhigt sei. Wiederum behauptete er, dass alles unter Kontrolle sei, und beklagte sich über Gerüchte, Übertreibungen und Emotionen, die alles verzerren würden. Ich versicherte ihm, dass es nicht so sei, und drängte darauf, eine Sicherheitskomponente, wie ich sie nannte, nach Osttimor zu schicken. Sein Gegenangebot, das ihm zweifelsohne von jemandem aus seiner Umgebung eingeflüstert wurde, war die Verhängung des Kriegsrechts – das er zwei Tage später tatsächlich ausrief. Noch mehr indonesische Truppen mit einer noch größeren Vollmacht, nach Belieben zu handeln, waren freilich, wie Gusmão später am Tag zu mir sagte, das Letzte, was Osttimor brauchte.
Dann erhielt ich John Howards Zusage, dass Australien die Führung der Interventionstruppe übernehmen würde. Auf seine Frage, ob deren Hauptaufgabe der Schutz der UN -Mission sei, antwortete ich unmissverständlich: Ihre vorrangigen Mission bestehe darin, die osttimoresische Bevölkerung zu schützen. Nur die eigenen Kräfte zu schützen war, wie wir aus Bosnien gelernt hatten, nicht die Antwort.
Zu diesem Zeitpunkt begann das Gerücht über einen bevorstehenden Putsch gegen Habibie die Runde zu machen. Gleichzeitig wandte sich die Gewalt direkt und auf Furcht erregende Weise gegen die Vereinten Nationen. Am 8. September erhielt ich kurz nach drei Uhr nachts einen dringenden Anruf von Kieran Prendergast, dem Untergeneralsekretär für Politische Angelegenheiten, der mir berichtete, dass der Leiter der UN -Mission in Osttimor, Ian Martin, ihn aus Dili angerufen und ihm mitgeteilt habe, dass die Milizen jetzt das UN -Quartier belagerten. Martin wollte die große Zahl der zivilen UN -Mitarbeiter vor Ort evakuieren, um ihr Leben zu schützen.
Für meinen Kabinettschef Iqbal Riza und mich stand der Ernst der Lage außer Frage. Unsere Sorge galt sowohl den Hunderten von UN -Mitarbeitern als auch den 1500 timoresischen Zivilisten, die im UN -Quartier in Dili Zuflucht gesucht hatten und jetzt von den Milizen bedroht wurden, die auf das Quartier schossen und Granaten auf das Haupttor warfen. Riza und ich hatten in der Abteilung für Friedenssicherungsmissionen gemeinsam die Erfahrung der Ohnmacht angesichts des Völkermords in Ruanda gemacht, und die Lehre daraus war uns stets gegenwärtig. Im Fall Ruandas war es zu einem Kommunikationsabriss in der Dreiecksbeziehung zwischen Einsatzort, Büro des Generalsekretärs und DPKO gekommen. In einer nach Martins Anruf einberufenen Sitzung gelangten wir am selben Vormittag einhellig zu der Ansicht, dass wir nicht abziehen konnten. Wir durften die Zivilisten im UN -Quartier nicht alleinlassen – diesmal nicht.
Nach 24 Stunden, einer Zeit großer Anspannung, beschlossen wir, den größten Teil der UN -Mitarbeiter abzuziehen. Es erfüllte uns jedoch mit Stolz, dass über achtzig von ihnen zusammen mit Martin und einer Rumpfmannschaft freiwillig in Dili bleiben wollten, um sich als menschlicher Schutzschild vor die Osttimorer zu stellen, die sich ins UN -Quartier gerettet hatten. Die osttimoresischen UN -Mitarbeiter, auf die es die Milizen und ihre militärischen Hintermänner besonders abgesehen hatten, waren bereits nach Darwin in Australien evakuiert worden.
Ich rief Habibie an, um sicherzustellen, dass er über die Gefahr, in der die UN -Mitarbeiter schwebten, Bescheid wusste. Als ich ihm mitteilte, dass ich gezwungen sei, unsere Mitarbeiter zu evakuieren, klang er schockiert und sogar verwirrt. Danach redete er eine halbe Stunde lang ohne Punkt und Komma, wobei er sich häufig wiederholte, mir aber nicht die Chance gab, einzuhaken. Er bestand weiterhin darauf, dass die Anwesenheit indonesischer Truppen die einzig mögliche Antwort sei und es gefährlich wäre, wenn australische Soldaten einträfen, um bei der Evakuierung zu helfen. Dann legte er eine Pause ein, und ich hielt ihm noch direkter als bisher vor, dass seine Informationen schlicht falsch seien. In Osttimor finde ein von der indonesischen Armee unterstützter und geduldeter Amoklauf statt, der sich nun auch
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