Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)
dem Willen zu handeln. Sie haben klargestellt, dass es für sie zu gefährlich wäre, einzugreifen.« Dann betonte ich: »Ohne Zustimmung Indonesiens werden sie es nicht tun. Deshalb muss Druck auf Indonesien ausgeübt werden, seine Haltung zu ändern.«
Zwei Tage später, am frühen Morgen des 12. September, kam mit einem Telefonanruf Habibies endlich der Wendepunkt. Erschöpft, besorgt, aber auch entschlossen erinnerte er zunächst an die einige Tage zuvor getroffene Vereinbarung, dass er um unsere Hilfe nachsuchen werde, wenn er zu der Auffassung gelangen sollte, dass das Kriegsrecht nicht zur Wiederherstellung des Friedens in Osttimor führe. »Als mein persönlicher Freund und als Freund Indonesiens«, fuhr er fort, »rufe ich Sie jetzt an, um Sie um Ihren Rat und um Unterstützung bei der Anstrengung, Frieden und Sicherheit in Osttimor wiederherzustellen, zu bitten.« Das war das Signal, das ich brauchte, um die UN -Mission zu autorisieren. Habibie kündigte an, seinen Außenminister noch in dieser Nacht nach New York zu entsenden, um mit mir die Stationierung einer UN -Truppe auszuhandeln. Ich dankte ihm für seine bedeutende und mutige Entscheidung – und das war sie, wenn man seine Position bedachte – und versicherte ihm erneut, dass die Blauhelme nicht dazu da seien, um Zwang auszuüben, sondern um mit Indonesien zusammenzuarbeiten. Habibie beendete das Gespräch mit dem überraschenden Eingeständnis des Scheiterns seiner Bemühungen, den Frieden wiederherzustellen, und der Zusage, dass seine Regierung unsere Bedingungen annehme: »Von meiner Seite gibt es keine Konzessionsforderungen oder Bedingungen. Ich habe volles Vertrauen in Sie und die Vereinten Nationen.«
Am 15. September billigte der Sicherheitsrat einstimmig eine Resolution, die die Aufstellung einer multinationalen Truppe vorsah, die unter der Abkürzung INTERFET (Internationale Streitkräfte Osttimor) bekannt wurde. Fünf Tage später gingen die ersten australischen Einheiten als Teil einer Truppe, zu der – und das war entscheidend – auch malaysische und thailändische Soldaten gehörten, in Osttimor an Land. Nach der raschen Wiederherstellung der Ordnung wurde im Oktober 1999 die Übergangsverwaltung der Vereinten Nationen für Osttimor ( UNTAET ) geschaffen. Sie hatte die Aufgabe, das verwüstete Land wiederaufzubauen und auf die Unabhängigkeit vorzubereiten.
Als ich ein halbes Jahr darauf, im Februar 2000, Osttimor besuchte und mit meinem Sonderbeauftragten Sérgio Vieira de Mello nach Dili hineinfuhr, sah ich die Trümmer ausgebrannter Häuser und andere Spuren der willkürlichen Zerstörung, die indonesische Truppen und von ihnen unterstützte Milizen angerichtet hatten. Mein Team und ich flogen dann mit einem Hubschrauber in die Stadt Liquiçá, wo die Mordbrenner nach der Volksabstimmung am schrecklichsten gewütet hatten. An der Dorfkirche, wo Hunderte von Menschen massakriert worden waren, legten Nane und ich einen Kranz nieder. Während wir dort standen, kam ein Timorer nach dem anderen zu uns, um uns schweigend zu umarmen. Später am Nachmittag versammelten sich fünftausend Menschen, um ihren Unabhängigkeitsführer Xanana Gusmão und mich über ihre friedliche Zukunft reden zu hören. Ich musste unwillkürlich an den schrecklichen Preis denken, den die Osttimorer für ihre Freiheit gezahlt hatten.
Als die UNTAET geschaffen wurde, waren fast alle Gebäude in Osttimor – Wohnhäuser, Geschäfte, Regierungsgebäude, Kirchen – geplündert, zertrümmert oder abgefackelt. In dieser Trümmerlandschaft sollten wir eine völlig neue Staatsverwaltung aufbauen. Dieses schwierige Unterfangen vertraute ich wiederum meinem zuverlässigen Untergeneralsekretär für humanitäre Angelegenheiten Vieira de Mello an. Nach seiner Ankunft in Dili erläuterte er vor der Presse, auf welche Weise wir Osttimor regieren und auf die Unabhängigkeit vorbereiten wollten. Vor dem Hintergrund der Diskussionen über Kultur und Praxis von Friedenssicherung und Intervention deutete er unsere Entschlossenheit an, die Fallen und Fehler der Vergangenheit zu vermeiden. »Diesmal«, erklärte er, »haben wir uns nicht für die übliche, klassische Art der Friedenssicherung entschieden: Misshandlungen hinzunehmen, Kugeln hinzunehmen, Verluste hinzunehmen; nicht mit der nötigen Kraft zu reagieren; nicht gezielt zu schießen. Die UNO hat das zuvor getan, aber hier werden wir es anders machen.«
Als ich zwei Jahre später, im Mai 2002, wieder nach Osttimor
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