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Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Titel: Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kofi Annan
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auf die energische Unterstützung des britischen Premierministers Tony Blair stützen. Anstatt zuzusehen, wie Sierra Leone in den grausamen Bürgerkrieg zurückfiel, der in den neunziger Jahren das Land verwüstet hatte, unternahm Großbritannien im Mai 2000 eine robuste Militärintervention, die die Rebellenkräfte zerschlug, das Gleichgewicht des politischen Systems im Land wiederherstellte und die UN -Mission rettete. Zu verdanken war dieser Erfolg zum großen Teil der couragierten Führung Tony Blairs. Seither befindet sich Sierra Leone auf einem stabilen friedlichen Weg.
    Auch im französischen Präsidenten Jacques Chirac fand ich einen starken, entschlossen handelnden Partner, insbesondere in der festgefahrenen Dauerkrise in der Demokratischen Republik Kongo. 2003 drohte nach dem Abzug von Tausenden ugandischen Soldaten der friedenssichernden Mission in der ostkongolesischen Provinz Ituri ein Zusammenbruch der Sicherheitslage, der die gesamte Bevölkerung des Gebiets in Mitleidenschaft gezogen hätte. Dringend erforderlich war deshalb eine robuste Militärintervention, die über die unparteiische Friedenssicherung hinausging, die bisher in der Provinz betrieben worden war. Die Probleme im Ostkongo waren tief verwurzelt und langwierig – und sind es weiterhin –, doch Chirac ging auf meinen Appell ein, die Bevölkerung von Ituri wenigstens vor der unmittelbar drohenden Gefahr zu schützen. Um die UN -Präsenz im Kongo zu stärken, stellte er umgehend eine gut ausgerüstete Militäreinheit zur Verfügung, die diese kurze, aber notwendige Intervention eines breiteren europäischen Kontingents anführte.
    Während in der Diskussion über die humanitäre Intervention häufig unvereinbare Standpunkte aufeinandertrafen – immerhin wurde das Recht auf Nichteinmischung, das insbesondere den Entwicklungsländern zu Recht als heilig galt, in Frage gestellt –, war das Thema der »Schutzverantwortung« seinem Wesen nach verbindender, kooperativer und weniger umstritten. Es war eine brillante neue Idee, die die Diskussion voranbrachte. Im Jahr 2005 führte mein Bericht In größerer Freiheit zu einer offiziellen Bestätigung der Schutzverantwortung durch die Mitgliedsstaaten. Sechs Jahre, nachdem ich die Debatte über Souveränität und Intervention ausgelöst hatte, verpflichteten sich die Mitglieder der Vereinten Nationen in aller Form auf ein Prinzip der individuellen und kollektiven Würde.
    Das war durchaus kein radikaler Bruch mit der Praxis der Vereinten Nationen, wie die Gegner dieser Entwicklung meinten. Natürlich war die Befürchtung berechtigt, dass das Prinzip von manchen Mitgliedern des Sicherheitsrats, die sich von anderen, weniger edlen Motiven leiten ließen, selektiv angewandt werden könnte. Dennoch war der Unterschied zwischen inneren Konflikten und Angelegenheiten, welche »die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit … gefährden«, wie es in der UN -Charta heißt, in Wirklichkeit nie absolut. Immerhin waren »Wir, die Völker der Vereinten Nationen« das Subjekt der Charta, und nicht »Wir, die Regierungen«. Ihr Ziel ist es nicht nur, den Weltfrieden zu sichern – so lebenswichtig dies ist –, sondern auch, den »Glauben an die Grundrechte des Menschen, an Würde und Wert der menschlichen Persönlichkeit … zu bekräftigen«. Regierungen zu erlauben, die Menschenrechte und die Würde des Menschen zu verletzen, lag nie in der Absicht der Charta. Souveränität beinhaltete neben Macht stets auch Verantwortung.
    Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte war nicht nur als rhetorische Floskel gedacht. Die Generalversammlung, die sie damals annahm, befand im selben Monat auch, dass sie das Recht habe, ihre Sorge über das Apartheidregime in Südafrika zu äußern. In dem Fall hatte das Prinzip der internationalen Sorge um die Menschenrechte Vorrang vor dem Anspruch auf Nichteinmischung in innere Angelegenheiten. Und einen Tag vor der Annahme der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte hatte die Generalversammlung die Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes verabschiedet, die alle Staaten verpflichtet, dieses abscheulichste aller Verbrechen »zu verhüten und zu bestrafen«.
    Das Konzept der Schutzverantwortung klingt täuschend harmlos. In Wirklichkeit stellt es jedoch, wie wir gesehen haben, gegenüber Führern, die mit ihrem Volk nach Gutdünken umspringen wollen, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden, eine beunruhigende Kampfansage dar.

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