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Ein letzter Besuch: Begegnungen mit der Weltmacht China (German Edition)

Ein letzter Besuch: Begegnungen mit der Weltmacht China (German Edition)

Titel: Ein letzter Besuch: Begegnungen mit der Weltmacht China (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
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besser, als es nicht zu versuchen.
    SCHMIDT Das stimmt, aber es braucht Zeit, und in vielen Ländern wird es nicht funktionieren, insbesondere in islamischen Ländern wird es nicht funktionieren.
    LEE Wenn der Prophet einem Mann vier Frauen erlaubt, dann will er, dass man sich vermehrt.
    SCHMIDT Vier Frauen sind tatsächlich nur in Saudi-Arabien erlaubt, soviel ich weiß – und für Bin Laden! Aber die hohe Geburtenrate in islamischen Ländern ist nicht darauf zurückzuführen, dass ihnen mehr als eine Frau erlaubt ist. Es liegt eher daran, dass Frauen in der arabischen Gesellschaft nichts zu sagen haben. Sie werden behandelt, als hätten sie keinen eigenen Willen.
    LEE Die Ungleichbehandlung der Geschlechter besteht allerdings nicht nur in den arabischen Ländern, es gibt sie auch in vielen afrikanischen Gesellschaften.
    SCHMIDT In der Tat kommen nicht nur Araber über das Mittelmeer, sondern auch Schwarzafrikaner. Sie kommen aus dem ganzen Nahen Osten. Sie kommen noch nicht wieder aus dem Iran, aber sie werden ebenso aus dem Iran kommen, wie sie seit Jahrzehnten aus der Türkei kommen. Was Inder und Chinesen angeht, bin ich mir nicht sicher, aber sie gehen zu zig Millionen in die Vereinigten Staaten.
    LEE Die Chinesen werden bald mit einem Entvölkerungsproblem konfrontiert sein. Die Ein-Kind-Politik wird die Bevölkerung drastisch verringern, und es wird ein Ungleichgewicht zwischen Männern und Frauen entstehen, weil die Frauen nach einer Ultraschalluntersuchung weibliche Föten abtreiben, so dass viele Männer keine Frau finden. Das ist ein großes Problem. Entvölkerung und ungleiche Geschlechterverteilung sind also ein Punkt.
    SCHMIDT Diese Politik wird jetzt seit mehr als dreißig Jahren betrieben. Sie wurde unter Deng eingeführt. Hat er die Folgen vorausgesehen?
    LEE Ich glaube nicht. Deng hat das Problem wahrscheinlich nicht verstanden, und vielleicht habe auch ich es früher nicht verstanden. Aber jetzt weiß ich, dass die Demographie das Schicksal eines Landes bestimmt – ob man in der Lage ist, die Geburtenrate und die Bevölkerung zu halten, ohne Letztere zu vergrößern, was einem Faktor von 2,1 Kindern pro Familie entspricht. In Singapur haben wir den Faktor auf 1,08 verringert und werden innerhalb von 18 Jahren auf die Hälfte schrumpfen.
    SCHMIDT In den Vereinigten Staaten wird die unterschiedliche demographische Entwicklung dazu führen, dass Afroamerikaner und Hispanics in der Mitte des Jahrhunderts gemeinsam die Mehrheit der Wählerschaft stellen.
    LEE Amerika lebt von seiner Vielfalt, und es ist ungeheuer mobil. Die Amerikaner reisen in Autos mit billigem Benzin ungehindert kreuz und quer über den Kontinent. So geht ein erfolgreicher Mann wie James Baker, der frühere Außenminister, nach Austin zurück, um dort ein Zentrum aufzubauen, ein neues Washington, das die Menschen anzieht. Ich habe einen Freund in Utah, John Huntsman, einen Mormonen. In seiner Familie ist Prostatakrebs verbreitet, aber er ist ein reicher Mann, also hat er eine Stiftung gegründet und Experten für Prostatakrebs aus ganz Amerika und dem Ausland nach Utah geholt, um die Ursache von Prostatakrebs und mögliche Behandlungen zu erforschen. In seiner Vielfalt unterscheidet sich das Land von Europa – zum Beispiel von Frankreich, wo alles um Paris herum zentriert ist, oder von Großbritannien, wo alles um London, Oxford und Cambridge zentriert ist, oder auch von Deutschland, wo sich alles auf Frankfurt und neuerdings auf Berlin fokussiert.
    SCHMIDT Deutschland ist kein gutes Beispiel, denn es hatte und hat viele größere und kleinere kulturelle Zentren, die Universitäten sind über das ganze Land verteilt. Aber lassen wir Deutschland beiseite. Fahren Sie fort.
    LEE In Europa gibt es eine Konzentration der Spitzenelite an wenigen Orten. In Amerika ist sie verteilt.
    SCHMIDT Dennoch finde ich es immer wieder bedauernswert, dass Leute wie Dean Acheson, George Marshall, Jack McCloy, dass fast alle Leute der alten Ostküsten-Elite verschwunden sind.
    LEE Nun, sie waren das Produkt ihrer Zeit. Am Ende des Zweiten Weltkriegs lag Europa in Trümmern, alles war zerstört, und Leute wie Marshall oder Dean Acheson glaubten, dass die westliche Zivilisation auf dem Spiel stand.
    SCHMIDT Ich würde sogar Jack Kennedy dazuzählen.
    LEE Ich bin nicht sicher, dass er so tiefschürfend dachte. Aber Marshall und Dean Acheson definitiv. Sie sahen die westliche Zivilisation in Gefahr. Deshalb kam es zum Marshallplan, der Europa

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