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Ein letzter Besuch: Begegnungen mit der Weltmacht China (German Edition)

Ein letzter Besuch: Begegnungen mit der Weltmacht China (German Edition)

Titel: Ein letzter Besuch: Begegnungen mit der Weltmacht China (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
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durchsetzte. Im Prinzip sind es ja grundlegende humane Regeln, die eingehalten werden sollten.
    SCHMIDT Könnte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen jemals diese Autorität erlangen?
    LEE Die fünf Mächte müssten sich einig sein, aber eine von ihnen wird immer ihr Veto einlegen. Am ehesten China, weil es auch nicht will, dass das Ausland sich in China einmischt. Der nächste Einspruch käme von Russland. Angenommen, die Vereinten Nationen würden den Sicherheitsrat auf 25 Mitglieder erweitern, von denen nur fünf ein Vetorecht besäßen, aber die Mehrheit Beschlüsse fassen könnte, dann freilich hätte man die moralische Autorität, Vetos zu ignorieren.
    SCHMIDT Wenn man den Sicherheitsrat auf 25 Mitglieder vergrößern würde, würde das sicherlich nicht dazu führen, dass souveräne Nationen die Entscheidungen des Rats in jedem Fall befolgen.
    LEE Richtig. Aber bei bestimmten ungeheuerlichen Vorgängen dürften sich alle zumindest moralisch einig sein. Hätte es die Vereinten Nationen schon gegeben, als Hitler die Juden ermordete, nur weil sie Juden waren, und sechs Millionen von ihnen in die Gaskammern schickte – dann wäre es zu einer Verurteilung gekommen. Ob man angesichts einer mächtigen deutschen Naziwehrmacht interveniert hätte, steht auf einem anderen Blatt. Damals wurde es von der Weltöffentlichkeit toleriert. Briten, Franzosen und andere wussten, dass es moralisch falsch war, aber sie griffen wegen der militärischen Macht der Nazis nicht ein.
    SCHMIDT Der Beschluss zum Genozid an den Juden erfolgte 1941, und damals war man längst schon im Krieg gegen Deutschland.
    LEE Es gibt ein Recht der Völker, wie klein und wie schwach sie auch sein mögen, in Ruhe gelassen zu werden, so dass sie ihr eigenes Leben führen können. Man muss ihnen nicht helfen, wenn sie von einer Hungersnot heimgesucht werden und sterben und man nicht die Barmherzigkeit besitzt, ihnen zu helfen. Das ist kein Verbrechen. Aber sich einzumischen ist, denke ich, moralisch falsch.
    SCHMIDT Die fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates sind nicht zufällig die ersten fünf Staaten, die Atomwaffen besaßen. Wenn man den Rat auf 25 Mitglieder erweitert …
    LEE Den Sicherheitsrat mit seinen fünf ständigen Mitgliedern richteten die Sieger des letzten Weltkriegs mit der Absicht ein, als Wächter zu fungieren. Doch dann stellte sich heraus, dass die Russen nicht mitspielen, und heute sind es die Chinesen. Der Rat ist also nur funktionsfähig, wenn Chinesen und Russen ihr Vetorecht nicht ausüben. Aber die Chinesen reagieren empfindlich auf moralischen Druck von außen. Also enthielten sie sich im Fall Libyens und legten kein Veto ein. Außerdem fürchten sie eine Einmischung in chinesische Angelegenheiten.
    SCHMIDT Und diese Furcht wird noch geraume Zeit anhalten. Andererseits habe ich den Eindruck gewonnen, dass sie ihre starre Haltung in gewisser Weise gelockert haben. – Wenn man über die Vereinten Nationen spricht, muss man auch über andere globale Organisationen sprechen, über den IMF, die G20 und andere Institutionen dieser Art. Sind Sie zufrieden mit der Rolle des Internationalen Währungsfonds?
    LEE Er ist stark auf Amerika und Europa ausgerichtet, und ich denke, es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Chinesen mit ihren Billionen von Dollar ein gehöriges Wort mitreden werden. Sie werden sich von diesem Geld nicht trennen, wenn sie nicht einen Sitz in den Entscheidungsgremien erhalten. Und man wird sie in diesen Gremien brauchen.
    SCHMIDT Sicher. Aber davon abgesehen, kann man mit der Arbeit des Fonds zufrieden sein?
    LEE Auch die Inder werden beteiligt sein wollen.
    SCHMIDT Ja, auch die Brasilianer, die Nigerianer, die Südafrikaner – eine ganze Reihe von Ländern. Es sollte mehr Gleichheit herrschen, Amerika hat zu viele Stimmen. Aber ich nehme an, das wird sich in den nächsten zehn Jahren ändern. Was den IMF angeht, bin ich nicht pessimistisch. Aber in Bezug auf die G20 bin ich sehr pessimistisch.
    LEE Immerhin hat die G20 die Macht der G2 aufgeweicht. Die Alternative zu G20 ist ja nicht G7, sondern G2 – China und Amerika allein.
    SCHMIDT Das würden die Russen nicht hinnehmen.
    LEE Die G20 ist für sie akzeptabler als die G2.
    SCHMIDT Ja. Ende 2008 nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers war die G20 notwendig und handelte ziemlich umsichtig. Seit Frühjahr 2009 treffen sie zwar regelmäßig zusammen, aber es ist bisher nicht viel dabei rausgekommen.
    LEE Wenn die Notwendigkeit besteht, wird man

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