Ein letzter Besuch: Begegnungen mit der Weltmacht China (German Edition)
Ende des Wahlkampfs hatte ich meine Stimme verloren und konnte mich nicht einmal bei den Wählern bedanken. Also sagte ich mir, wenn du weitermachen willst, musst du mit dem Rauchen aufhören.
SCHMIDT Ich war immer überzeugt, dass es mir nichts anhaben kann.
SCHMIDT Wie dick werden Ihre Memoiren werden?
LEE Ich habe meine Memoiren schon geschrieben.
SCHMIDT Sie haben erwähnt, dass Sie an einem dritten Buch schreiben.
LEE Das wird einige Zeit in Anspruch nehmen. Ich schreibe diesmal nicht über mein Leben, sondern ich will meine Ansichten über die Welt zu Papier bringen.
SCHMIDT Ich habe ein Buch mit dem Titel »Außer Dienst« geschrieben.
LEE Wenn man seine Ansichten wiedergibt, ist man von allen Recherchen befreit.
SCHMIDT Aber nicht von allen Rücksichten!
LEE Leider.
MATTHIAS NASS Ich würde vorschlagen, dass wir noch einmal über das »pazifische Jahrhundert« sprechen. Viele im Westen sind der Meinung, dass die Dominanz des Westens, der rund fünfhundert Jahre lang die Welt beherrscht hat, zu Ende geht. In welches Zeitalter treten wir jetzt ein?
LEE Ich bin nicht der Meinung, dass das 21. Jahrhundert ein pazifisches Jahrhundert wird, mit anderen Worten ein chinesisches. Ich denke, es wird ein Jahrhundert, in dem sich Chinesen und Amerikaner einen Wettstreit um die Macht im Pazifik liefern. In Asien gibt es verschiedene nationale Interessen, die miteinander kollidieren, und dabei sind zwei Grundkräfte am Werk. Die eine ist die Größe der chinesischen Wirtschaft, die Japaner, Koreaner und den Rest Asiens schlucken wird. Man exportiert nach China und investiert in China, weil es eine wachsende Wirtschaft ist. Die andere Kraft ist das zunehmende Selbstbewusstsein der Chinesen. Je reicher und stärker China wird, desto selbstbewusster wird es. Deshalb werden die anderen Länder wollen, dass die Amerikaner als Gegengewicht dableiben. Je dominanter China auftritt, desto mehr werden die anderen Länder wollen, dass die Amerikaner dableiben, und sie werden bereit sein, ihnen Stützpunkte und logistische Unterstützung zur Verfügung zu stellen. Frieden und Stabilität in Asien werden heute einzig und allein vom Machtgleichgewicht zwischen Amerika und China aufrechterhalten. Aber wie lange die Amerikaner ein Gegengewicht zu China bilden können, weiß niemand. Am Ende des 21. Jahrhunderts wird dies nicht mehr möglich sein. Wenn man vom pazifischen Jahrhundert spricht und damit meint, dass das Gravitätszentrum sich vom Atlantik zum Pazifik verlagert hat, dann ist der Ausdruck angebracht. Man muss allerdings daran erinnern, dass China bis vor zweihundert Jahren mehr als 30 Prozent des globalen BIP produziert hat und heute, wenn nicht im Innern etwas Gravierendes passiert, dabei ist, diese Position schrittweise wiederzuerlangen.
MATTHIAS NASS Es ist also weniger ein Aufstieg als eine Wiedergeburt Chinas?
LEE Wie immer Sie es ausdrücken wollen. Das 21. Jahrhundert bringt jedenfalls ein stärkeres China, ein höheres chinesisches BIP, ein größeres Gewicht des Landes in den globalen Gremien und eine wachsende Militärmacht, die dazu dient, mit Heer, Marine und Luftwaffe Menschen von seinen Grenzen fernzuhalten.
SCHMIDT Offenbar stammt das Schlagwort von der Machtverlagerung vom Atlantik zum Pazifik aus Amerika; es dürfte geprägt worden sein, um die Verlagerung des Schwergewichts der amerikanischen Marine und Luftwaffe zu rechtfertigen. Heute besitzt die US-Luftwaffe Stützpunkte auf australischem Territorium, und die US Navy ist in einer nahezu ununterbrochenen Kette vom Persischen Golf über den Indischen Ozean, das Südchinesische und das Ostchinesische Meer bis zur kanadischen Küste präsent. Ich denke, Amerika übertreibt es.
Ihrer Antwort stimme ich zu, mache aber eine Anmerkung. Wenn die Finanzkrise von 2008 nicht eingetreten wäre, würde ich meinen alten Satz wiederholen: Wir leben in einer tripolaren Welt, und die Pole heißen China, USA und Europa.
LEE Die Europäer könnten es immer noch schaffen.
SCHMIDT Sie könnten es. Aber aufgrund dieser tiefen Finanzkrise bin ich mir nicht mehr so sicher.
LEE Europa stehen nur zwei Wege offen: Wenn es seine Einheit und den Euro bewahren will, muss es sich weiter integrieren, es kann nicht auf halbem Weg stehenbleiben. Ich glaube also, dass die griechische Krise eine Initialzündung ist, die den Schlüsselregierungen Zeit gibt zu entscheiden, ob sie das Auseinanderbrechen in viele Kleinstaaten wollen, die in der großen Welt nichts zählen, oder
Weitere Kostenlose Bücher