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Ein letzter Brief von dir (German Edition)

Ein letzter Brief von dir (German Edition)

Titel: Ein letzter Brief von dir (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Ashton
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die Karten, sorgfältig gestapelt, zurück in die Schachtel.
    «Nein, wirklich. Es wird besser. Ganz sicher, sieh mich an.»
    Orla sah sie an. Ma hatte die fünfzehn Kilo nie wieder zugenommen, die sie nach dem Tod ihres Mannes verloren hatte. Sie färbte sich nicht mehr die Haare. Orla wusste, dass sie Angst hatte vor der Einsamkeit und den Gedanken, die mit ihr kamen, also füllte sie ihre Tage und Nächte mit ihren Kindern und Enkelkindern. Dabei sagte sie ständig, wie sehr sie sie an «ihren Jimmy» erinnerten.
    «Okay, Ma, ich glaube dir.»
    «Vertrau mir. Es gibt immer ein Licht am Ende des Tunnels.» Ma stand auf. «Auch wenn es manchmal nur ein verdammter Schnellzug ist.» Sie nickte beifällig, als Orla den Deckel auf die gestreifte Schachtel legte. «Es wird langsam Zeit, dass du die Karten wegtust, Schätzchen. Sie regen dich nur auf.» Sie zeigte auf den rosafarbenen Umschlag. «Eine hast du noch vergessen.»
    «Nein, die da bleibt draußen.»
    «Öffne sie doch mal, Orla.» Ma hegte eine abergläubische Abneigung gegen diese Karte. «Sie bringt dir nur Unglück.» Ma meinte es gut. Sie war schließlich ein alter Hase im Bemuttern. Orla war ihr fünftes und letztes Kind, immer noch ihr kleines Baby, auch wenn sie schon dreiunddreißig Jahre alt war.
    «Ma, du hast mir versprochen, dich da rauszuhalten.»
    «Gib her.» Ma streckte die Hand aus. «Ich reiß sie für dich auf, so wie ich es mit den ollen Kettenbriefen getan habe, als du noch zur Schule gegangen bist.»
    «Den Umschlag nehm ich mit, Ma.»
    Ihre Mutter setzte sich wieder hin. «Wohin denn, Orla?»
     
    Es war wirklich eine finstere Veranstaltung gewesen, mehr die Verabschiedung eines Staatsmannes als die Beerdigung eines Schauspielers. Nirgends unter dem hoch aufragenden Gewölbe der Kirche, in den lateinischen Hymnen oder den Bibelpsalmen fand Orla auch nur eine Spur ihres verantwortungslosen, Partys liebenden, geselligen Geliebten.
    Er hatte sich einmal breitbeinig zurückgelehnt, ein Guinness in der Hand – damals, als der Tod noch unendlich weit weg schien –, und gesagt: «Wenn ich mal sterbe, will ich auf keinen Fall, dass du Schwarz trägst. Trage deine ausgeflipptesten Klamotten!»
    Also trug Orla ihren knallroten Mantel, war aber froh über die beiden Puffer an ihrer Seite: Juno zu ihrer Rechten in schickem schwarzem Leder, Ma zu ihrer Linken, ein wenig trutschig, aber in formellem Schwarz. Sie hatte sich vorher einen Whisky genehmigt, auf Mas Zureden hin, und jetzt war ihr schwindelig und ein wenig übel.
    Junos Sohn Jack zappelte die ganze Zeit auf der Kirchenbank herum. Kleine Kinder sind nichts Ungewöhnliches bei Beerdigungen in Irland, dort, wo die alte Garde die Rituale des Todes noch in Ehren hält. Juno allerdings gehörte entschieden zur neuen Garde. Sie war ohne die harte Hand des irischen Katholizismus aufgewachsen, und Orla wusste, dass sie Jack nur für sie mitgebracht hatte. Sie breitete die Arme aus.
    «Gib ihn mir.» Orla nahm Jack für den Rest des Gottesdienstes auf ihren Schoß, und er entpuppte sich als der beste Puffer von allen.
    Er schaute sich ernsthaft um, ein Minimann in einem Minianzug, und flüsterte Orla ins Ohr: «Du bist gar nicht meine richtige Tante.»
    «Nein. Aber so gut wie.» «Mummy sagt, du verzehrst dich vor Schmerz.» Jack war ganz fasziniert von dem Ausdruck. «Bist du schon fast aufgegessen?»
    «Fast», flüsterte Orla und spähte hinunter auf ihre Brust. «Es ist aber immer noch genug da, um zurechtzukommen.»
    «Ich habe mal einen Popel verzehrt, den ich gefunden habe.»
    «Jack!», zischte Juno und ließ ihren Blick hektisch über die Versammlung gleiten.
    Hab ich aber echt
, formte Jack mit den Lippen.
    Orla richtete den Blick andächtig auf sein Gesicht, um nicht das mit der irischen Flagge bedeckte Rechteck ansehen zu müssen. Der Sarg war der massige Beweis dafür, dass Sims Leben vorbei war.
    Bei dem Gedanken daran, dass er jetzt in dieser Kiste lag, kam ihr fast das Frühstück hoch. Bevor der Gottesdienst begonnen hatte, war sie am Sarg vorbeigegangen und hatte eine Hand auf das Holz gelegt. Lange hatte sie so dagestanden, unfähig, sich zu bewegen. Junos mitleidiges «Jetzt geh da mal weg» ließ sie nur in Tränen ausbrechen.
    Zum ersten Mal war Sim bei einer Festlichkeit stumm. Orla tröstete sich mit der Absurdität dieser Vorstellung. Zu ihren Füßen lag in ihrer besten Tasche – ein Geburtstagsgeschenk von ihm – geduldig die Valentinskarte.
    Der Gottesdienst

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