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Ein letzter Brief von dir (German Edition)

Ein letzter Brief von dir (German Edition)

Titel: Ein letzter Brief von dir (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Ashton
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schlich voran, Gebete und Lieder stiegen auf in die dicke Luft wie trockene Blätter. Orla erkannte niemanden um sich herum, und sie kannte auch keines der Lieder. Der Gottesdienst war eine Geduldsprobe für sie, und sie fand keinen Trost darin. Stattdessen spürte sie sogar noch stärker ihre Hilflosigkeit gegenüber einer willkürlichen Macht, die nach dem Zufallsprinzip einzelne Personen auswählte und keine Rücksicht darauf nahm, ob diese Person die Hoffnungen und Träume – und, jawohl, auch die Zukunft – einer anderen Person mit sich nahm.
    Als er ihre roten Augen und den fest zusammengepressten Mund sah, wurde Jacks vollkommenes kleines Gesichtchen unruhig, und das war vermutlich das Schlimmste an diesem Tag.
    Er hatte noch niemals echten Kummer gesehen.
    «Komm, wir gehen einfach nicht zu dem Empfang.» Juno sagte das beiläufig, als sie durch das Friedhofstor traten. Ma stimmte mit ebenso angestrengter Leichtigkeit zu. Sie hatten Orla von beiden Seiten gestützt, als der Sarg mit Sims sterblichen Überresten an Seilen in die Erde gesenkt wurde.
    «Ich muss aber dahin gehen.»
    Sie schluckten ihre Entscheidung, weil sie glaubten, sie täte es für Sim, und damit hatten sie auch zur Hälfte recht. Aber nur zur Hälfte. Orla hatte noch etwas zu erledigen.
     
    Orla streifte durch den Veranstaltungssaal des Fünf-Sterne-Hotels. Ihr roter Mantel leuchtete grell inmitten all der schwarzen Trauerkleidung. Die vielen ausdruckslosen Gesichter sahen aus wie Masken. Niemand hier vermisste Sim wirklich. Niemand hier hatte ihn wirklich gekannt.
    Auf der einen Seite des Raumes plauderte Senator Quinn routiniert mit den Gästen. Er wirkte müde. Auf der gegenüberliegenden Seite des Saals stand seine Frau. Mit sorgfältigstem Make-up hatte sie erfolglos versucht, die zehn Jahre zu verbergen, die sie in den letzten zwölf Tagen gealtert war. Orla fiel auf, dass die beiden es vermieden, beieinanderzustehen.
    «Orla.» Lucy rückte ihren Dutt zurecht und lächelte wohlwollend. «Du trägst Rot? Wie eigenwillig.»
    «Sims Wunsch. Lucy, ich habe nachgedacht. Ich möchte helfen.»
    «Das ist sehr nett, aber es ist alles unter Kontrolle.» Lucy lächelte jemandem über Orlas Kopf hinweg zu: Sie war eine hochgewachsene Frau und trug immer hohe Absätze.
    «Ich kenne dieses Lächeln. Ich benutze es auch, seit … seit Sim tot ist.»
    Lucy sah sie verwirrt an.
    «Dieses hier.» Orla machte Lucys Gesichtsausdruck nach. «Wehmütig. Empfindsam. Betrübt, aber tapfer. Für ein Lächeln ist es furchtbar traurig.»
    Lucy nahm einen Schluck von ihrem Champagner. Sie widersprach nicht.
    In Orla glomm plötzlich die Hoffnung auf, von Frau zu Frau mit Lucy reden zu können. «Betreten Sie auch manchmal ein Zimmer, vergessen plötzlich, warum Sie eigentlich dort sind und denken:
Oh, Sim …?
»
    «Ständig.»
    «Die drei Pünktchen führen zu nichts», sagte Orla leise.
    «Ich muss den Bildungsminister begrüßen, Orla. Bitte entschuldige mich.»
    «Warten Sie noch, Lucy. Ich werde Sie nicht lange aufhalten. Wie ich schon sagte, ich möchte gern helfen. Ich fahre nach London und räume sein Apartment aus.»
    «Maria ist …»
    «Es fühlt sich richtig an. Denken Sie daran, Sim wollte, dass ich mit ihm dorthin gehe und bei ihm wohne.»
    «Und du hast abgelehnt.»
    «Ja, und das bereue ich jetzt.» Orla zögerte. Plötzlich befürchtete sie, dass sie sich bloßstellen könnte. «Das ist meine Art der Wiedergutmachung.»
    «Orla, jetzt muss ich wirklich zu meinen Gästen. Ich kann den Schlüssel zum Londoner Apartment nicht finden, aber sobald ich ihn habe, fährt Maria dorthin.»
    Orla hielt einen bronzenen Türschlüssel hoch. «Sim hat mir das hier geschickt.» Sie zog ihr Ticket hervor. «Und das hier. Mein Flug geht am Vierundzwanzigsten um 06 : 10  Uhr. Ich
werde
das tun, Lucy.» Orla hielt Lucys Blick stand. «Aber ich würde es lieber mit Ihrem Segen tun.»
    Eine Weile schwiegen sie beide.
    «Es dauert sicher nicht länger als einen Nachmittag», sagte Lucy schließlich. «Er hat ja nur ganz wenige Dinge mitgenommen. Es wäre schön, wenn du die Armbanduhr seines Großvaters findest. Es ist eine Longines mit Gravur.»
    «Ich kenne sie gut. Ich bringe sie sicher zu Ihnen zurück. Aber wenn ich sein Tagebuch finde, darf ich es behalten?»
    Einen kurzen Moment lang schien es, als würde Lucy nein sagen. Orla hielt die Luft an. Bisher hatte Lucy alles getan, was in ihrer Macht stand, um Orla auch noch das kleinste Andenken an Sim

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