Ein letzter Brief von dir (German Edition)
launische Menschen an solchem Stolzieren fanden – sie fühlte sich mächtig und ungehemmt. «Und tu nicht so unschuldig, Reece. Du weißt alles über Sim. Und ich hab noch geglaubt, dein Rat, die Karte zu verbrennen, sei nur zu meinem Besten! Du hast ihn gedeckt, so wie du all diese lausigen Fremdgeher dahinten an der Wand deckst!»
Der Ausdruck war nicht gerade modern, aber er traf es
genau
. Reece klopfte wieder auf den Sitz neben sich. «Na, komm schon. Ich bin’s, Orla. Lass uns darüber reden.»
Sie zögerte einen winzigen Augenblick und setzte sich dann. «Aber verarsch mich nicht, Reece. Du wusstest Bescheid.»
«Ja», sagte Reece, «ich wusste es.»
«Du Mistkerl!»
«Das hab ich verdient.» Reece senkte den Kopf. Sein roter Schopf war frisch geschnitten. «Sim hat eine Menge Dinge getan, für die er sich schämte. Dinge, von denen er wusste, dass du sie nicht dulden würdest.»
Orla war es leid, das Gewissen der Welt zu spielen. Sie murmelte: «Das klingt, als wäre ich die Schuldirektorin und nicht seine Freundin gewesen.»
Reece streckte seine geöffneten Handflächen aus, zu müde, um es zu bestreiten. «Er brauchte dein Wohlwollen, um morgens aus dem Bett zu kommen. Ohne dich war er wie ein Kind in einem beschissenen Bonbonladen. Er hat ständig gesoffen.» Reece schauderte bei der Erinnerung. «Ich hab mein Bestes getan, ihn von Drogen fernzuhalten, aber Londons Straßen sind heutzutage mit Koks gepflastert.»
«Wir hätten damit fertigwerden können.» Alkohol, Koks – das waren in ihren Augen Nebensächlichkeiten im Vergleich zu Sims Untreue. «Wie konntest du mich diese Karte mit mir herumschleppen lassen? Und wie konntest du mich nur Anthea vorstellen? Das war mies. Du hast mich komplett blamiert.»
«Hör mal.» Reece war jetzt ganz ernst. «Sim wäre zu dir zurückgekommen. Ich weiß es tief
hier
drin.» Er schlug sich auf die Brust. «Ich habe gelogen, um dich zu schützen, nicht ihn. Ich glaube nicht, dass da irgendwas mit Ant war, nicht wirklich.»
«Immerhin war es anscheinend genug, dass er mich verlassen hat. Er hat uns offenbar beide zum Narren gehalten.»
Orla entdeckte ein bekanntes Gesicht auf der gegenüberliegenden Wand und stand auf, um einen Sim in Schwarzweiß anzuschauen, der gewinnend lächelte und eine Filmklappe hochhielt, auf der «Die Kurtisane» geschrieben stand.
«Dieser Job war unser Ende», flüsterte sie und gab endlich zu, dass sie den Film hasste, dass ihre Finger schon in Erwartung einer Bedrohung gekribbelt hatten, als das dicke Drehbuch angekommen war. «Oh, und sieh mal einer an, wer auf dem Foto daneben ist.» Orla tippte auf das gerahmte Farbfoto. «Wie kuschelig.»
«Das ist das neueste Foto von Ant. Mit ihrem Regisseur an dem Tag, als sie die
Macbeth
-Rolle bekam. Sie mag das Foto besonders, sie findet, dass sie jung darauf aussieht. Kurz zuvor hat sie sich die Falten mit Hyaluronsäure auffüllen lassen.»
«Jetzt ist es auch zu spät, so über sie herzuziehen», sagte Orla. Sie verschränkte die Arme über der Brust und musterte das Bild. Anthea lächelte breit und lehnte sich an den korpulenten Regisseur, als ob sie ihr ganzes Leben lang nur auf diesen Moment gewartet hätte. «Schauspieler sind gefährlich», murmelte sie. Dann bemerkte sie ein Detail und beugte sich näher heran, um es sich genauer anzuschauen.
«Orla, jetzt hör doch auf. Das ist ungesund.»
«Reece, ich will eine Entschuldigung von ihr. Ich will, dass sie mir die Wahrheit sagt.» Sie hatte das ständige Lavieren dieser angeblich so gebildeten, aber in Wirklichkeit schäbigen Menschen satt. «Es ist höchste Zeit, endlich ehrlich zueinander zu sein.»
Reece zögerte einen Augenblick und fragte dann: «Warst du denn ehrlich mit dir selbst?»
Die Frage schien Orlas ohnehin schon knurrenden Magen noch enger zusammenzuziehen. «Was meinst du damit?»
«Hattest du wirklich so gar keine Ahnung? Gar kein Gefühl, dass Sim vielleicht in Not war? Er hat dich gebraucht, Orla.» Reece wandte sich ab, als ob er etwas in ihrem Gesicht gesehen hätte, dessen Anblick er nicht ertragen konnte. «Sorry. Aber du hast gesagt, du wolltest die Wahrheit hören.»
Erschöpft flüsterte Orla: «Natürlich wusste ich das. Nach Silvester konnte nur noch ein Volltrottel so tun, als ob er nichts merkt. Ich muss ein Volltrottel gewesen sein, weil ich es fertiggebracht habe, einfach so weiterzumachen, als ob nichts passiert wäre. Ich hatte beschlossen, zu glauben, dass alles gut werden
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