Ein letzter Brief von dir (German Edition)
zugelegt hatte, dass ihr das nicht vorher aufgefallen war.
Marek spürte, dass sie ihn ansah, und er schaute extra ernst, um nicht zu lächeln. Er ist so glücklich, dachte Orla nervös und neidisch zugleich. Sie saßen nur ein paar Zentimeter voneinander entfernt, aber ihre Stimmung am Morgen danach konnte unterschiedlicher nicht sein.
Beim Gedanken an ihre Liebesnacht stieg Wärme in Orla auf. Es war wild und sogar ein wenig magisch gewesen, und sie hatte ihn so sehr gewollt.
Aber das war nicht der Grund gewesen, aus dem sie in sein Zimmer gegangen war. Nicht der Hauptgrund. Als sie die Valentinskarte gelesen hatte, war es gewesen, als sei sie in einen Abgrund gefallen. Seit dem Augenblick, in dem ihr Gehirn die Worte
Und wahrscheinlich habe ich das nie getan
erfasst hatte, befand sich Orla in freiem Fall.
Sie war zu Marek gegangen, weil sie jemanden brauchte, an dem sie sich festhalten konnte. Und weil sie, in jenem Moment, alle «Sollte-nicht»- und «Kann-nicht»-Gedanken ausgeblendet hatte. Orla hatte sich selbst die Erlaubnis gegeben, sich Marek zu nähern, ihn zu berühren, ihn zu schmecken.
Der große, starke Marek war so zärtlich mit ihr umgegangen. Sie erinnerte sich an seine langen, schlanken Beine und an die wohldefinierten Kurven seines Hinterns. Er war schön. Und er hatte Orla völlig wild gemacht.
Es war so anders gewesen als der Sex mit Sim.
Schon wieder zog sie Vergleiche.
Marek hatte aufgehört zu pfeifen.
Die Landschaft draußen hatte sich verändert, die Hecken waren kaugummibefleckten Bürgersteigen und endlosen Fensterreihen gewichen. «London», murmelte Orla und richtete sich auf.
«Geht es dir gut?»
«Ja. Klar. Natürlich.»
Marek drehte das Steuer und bog abrupt von der Hauptstraße ab. Er suchte die verstopfte Seitenstraße nach einem Parkplatz ab und hielt an. Er löste den Sicherheitsgurt und wandte sich ihr zu. Das alte Sitzleder knirschte dabei. «Was ist los?»
«Nichts. Ehrlich.» Orla zuckte die Achseln mit einem Lächeln, von dem sie sicher war, dass es grauenvoll wirken musste. «Lass uns weiterfahren.»
Marek schaltete das Radio aus. «Es ist wegen Sim, oder?»
«Nein. Na ja. Ja.» Sie schaute auf ihren Schoß.
«Liebling», sagte Marek, und das Wort hallte in ihrem Kopf wider, «ich verstehe. Oder zumindest versuche ich das. Das weißt du. Hör mal, hör mir mal zu.» Er hob ihr Kinn, sodass sie ihn ansehen musste.
«Du hast die Karte verbrannt. Das Kapitel ist beendet. Nicht vergessen, natürlich nicht. Aber …»
«Das hab ich nicht, Marek. Sie verbrannt, meine ich … Ich hab sie gelesen.»
Marek, dem der Mund noch offen stand, weil er unterbrochen worden war, starrte sie an.
«Ich habe sie gelesen, und es war kein Heiratsantrag.» Orla spürte, wie Tränen ihre Stimme zu ersticken begannen, und blinzelte. Vor Marek durfte sie nicht weinen. Der arme Mann hatte das nicht verdient. «Er hat mir gesagt, dass er mich für Anthea Blake verlassen will. Und er hat gesagt, dass er mich nicht liebt. Nie geliebt hat.»
Orla rang nach Luft. Es war, wie wenn man ein Pflaster von der Wunde riss. «Oh Gott», murmelte Marek. Er stützte das Gesicht in die Hände.
«Es ist wohl besser, dass ich es weiß.»
Durch seine Finger schaute ein braunes Auge zu ihr hinüber. «Wirklich?»
«Na ja, nein, nicht wirklich.» Orlas Lachen war so trocken wie ein totes Blatt. «Es ist alles so furchtbar, egal von welcher Seite ich es auch betrachte.»
Marek fand seine Fassung wieder. «Wann hast du die Karte gelesen?»
Orla zögerte. «Auf der Veranda. Nachdem du zu Bett gegangen warst.»
«Ah.» Mareks Gesichtsausdruck veränderte sich. Er wurde so hart, dass er ihm kaum noch ähnlich sah. «Also, letzte Nacht, was war das? Trostsex?»
«Nein, natürlich nicht.»
Marek packte das Steuer und starrte durch die Windschutzscheibe.
«Ich bin einfach so verwirrt, Marek, ich …»
«Ich bin hier», unterbrach er sie. «Ich lebe. Ich lasse es nicht zu, dass mich Tote herumkommandieren, und du solltest das auch nicht tun. Ich habe diesen Sim nie kennengelernt.» Er schlug mit der Faust auf das Steuerrad, und Orla zuckte zusammen. «Hier geht es um dich und mich!» Marek drehte den Zündschlüssel und fuhr so rasant aus der Parklücke heraus, als ob er einen Fluchtwagen steuerte.
Für den Rest des Weges nach Hause sprachen sie kein Wort. Marek holte ihre Tasche aus dem Kofferraum. Dann sagte er: «Wenn ein Mann und eine Frau miteinander ins Bett gehen, dann bedeutet es entweder
Weitere Kostenlose Bücher