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Ein liebender Mann

Ein liebender Mann

Titel: Ein liebender Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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Schmerzraserei. Wieder dachte er an Zelters einfache Dienlichkeit. Zelter wollte den Text vortragen. Dieser Schubert wollte einem die Seele aus dem Leib reißen, und dazu war ihm der Text nichts als ein Anlass. Der kam ihm gerade recht.
    Noch einmal, rief Klebelsberg, auf innigen Wunsch einiger Zuhörerinnen, die so etwas noch nie gehört haben, die Sehnsucht.
    Das fand Goethe raffiniert. Die Wirkung war zehnmal so stark wie nach der ersten Darbietung. Manche Frauen fielen einander um den Hals und weinten laut heraus. Goethe hob wieder seine in einander verschränkten Hände und bewegte sie herzlich zu Graf Klebelsberg hin. Der Beifall wollte nicht aufhören.
    Und jetzt, Exzellenz? Sagte Amalie von Levetzow.
    Goethe nickte. Deutete auf Ulrike hinüber, die jetzt weiter von ihm weg saß als vorher, aber dass sie Tränen in den Augen hatte, war deutlich genug. Er hat aber auch eine Stimme wie sieben paradiesische Bienenschwärme, sagte Goethe dann, um die schwere Stimmung zu verscheuchen.
    Sie machen mich glücklich, sagte sie. Sie werde es dem Grafen ausrichten, er werde wahrscheinlich umkommen vor Stolz und Freude.
    Da stand die Hohenzollern-Prinzessin am Tisch und sagte an dem goldgleißenden japanischen Fächer, für den sie bekannt war, vorbei, falls noch ein Tanz folge, bitte sie um das Vergnügen, mit ihm walzen zu dürfen.
    Er stimmte mit Gesten zu, die er konnte. Es waren Gesten aus dem vergangenen Jahrhundert.
    Napoleons Stiefsohn hatte sich mit der Bemerkung entfernt, er werde dem Herrn Geheimrat auf den Fersen bleiben. Goethe hatte nicht reagieren können, wie es sich gehört hätte. Er hätte gern gewusst, worüber am anderen Tischende gesprochen wurde. Ulrike benutzte den frei gewordenen Stuhl nicht, sich wieder Goethe gegenüber zu setzen. Sie blieb Herrn de Ror und den mit ihm Debattierenden zugewendet. Sogar Amalie von Levetzow, die doch direkt neben Goethe saß, zeigte, dass sie jetzt auf de Ror und die, die mit ihm sprachen, gerichtet war. Und Ulrike! Wie bei einer Sonnenblume hat sich jetzt bei ihr nicht nur der Kopf, sondern der ganze Oberkörper, ja einfach ihre Existenz auf die neueste Sonne zugedreht. Er sieht sie gerade noch halb von hinten. Denen ging es um Literatur, das hörte er. Ob in Wien oder Marienbad, nurnoch zwei Namen: Byron und Scott. Da waren alle einer Meinung. Byron und Scott waren die einzigen Autoren, die man noch las.
    Frau von Levetzow rief in die Debatte hinein: Und was hat Byron gesagt, meine Herren, und zwar über unseren Goethe: Er sei der undisputed sovereign of European literature.
    Herr de Ror fand, das sei ein zweischneidiges Kompliment. Sovereigns, das seien doch die, die auf ihren Thronen einschlafen, während ein Byron nach Griechenland zieht, in den Befreiungskampf gegen die Türken, obwohl, nein, weil seine minderwertige Regierung auf dem Kongress in Verona per Veto verhindert hat, dass die europäischen Nationen den Befreiungskampf der Griechen gegen die osmanische Herrschaft unterstützen.
    Byron hat Goethe gerade noch seinen Sardanapal gewidmet, sagte Frau von Levetzow mutig.
    Das ist doch überhaupt keine Frage, Exzellenz, Sie sind das lebendigste Denkmal, das je eine Zeit beherrschte. Dieser Satz de Rors wurde von allen beklatscht.
    Goethe fand es nötig, noch einen Satz zur Scott-Verehrung zu sagen. Dessen Zauber stammt, meine Herren, aus der Herrlichkeit der drei britischen Königreiche, aus dem Reichtum ihrer Geschichte. Und was haben wir vom Thüringer Wald bis zu den Sandwüsten Mecklenburgs, nichts. In Deutschland wird ein guter Roman immer die Ausnahme bleiben. Er habe für seinen Meister-Roman nur den allerelendesten Stoff gehabt, eine Vagantentruppe, die bei Provinzadeligen herumtingelt.
    Dem wurde nicht widersprochen, aber daran weitermachenwollte auch keiner. Goethe ärgerte sich sofort darüber, dass er den Ruhm und Glanz der Scott-Romane auf Verhältnisse zurückführte, die nicht Scotts Verdienst waren. Und dann auch noch der lächerliche Versuch, seinen eigenen Roman groß zu machen: Schaut her, das habe ich geschafft mit dem miesen deutschen Stoffangebot. Auch hatte er überhaupt nicht den Ton getroffen, der wie ein Ball weitergespielt werden kann.
    Herr de Ror erzählte gleich ohne jede Überleitung, er sei vorgestern in Wien im Theater gewesen, da kommt der Held auf die Bühne, nimmt langsam seinen Prachtshelm ab, legt ihn auf den Tisch, der Schauspieler, der den Helden gibt, ist mehr als betagt, man sieht, die Hände, die den Helm

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