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Ein liebender Mann

Ein liebender Mann

Titel: Ein liebender Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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den mitlaufenden Vernichtungstext dahin geschickt, von wo er kam, in das Quartier der Vereitelung.
    Der von Stirn und Nase ausstrahlende Schmerz wurde zu einem Schmerzhelm, der fest auf seinem Kopf saß und die ganze Nacht garantierte, dass das Pathos ihn nicht verließ.

Zwei

1.
    Er musste sich einreden, er tue seine Arbeit wie immer. Aber er fragte sich, warum er sich einreden müsse, er tue seine Arbeit wie immer, wenn er doch wusste, dass das nicht so war. Warum konnte er das nicht zugeben? Er sprang doch fünfmal in der Stunde vom Schreibtisch auf, rannte ans Fenster, immer in der Hoffnung, Ulrike tauche gleich auf drüben auf der Terrasse und winke, dass er zurückwinken könnte, ihr bedeutend, falls sie Lust habe, könne sie doch schnell herüberkommen. Das sich einzugestehen fand er gefährlich. Schwächen haben es an sich, dass sie in dir um so mehr Herr werden, je mehr du dich mit ihnen beschäftigst, zugibst, dass es sie gibt.
    Zwei Tage nach dem Kostümball hatte er Ulrike immer noch nicht gesehen. Dr.   Rehbein hatte die Wunden gut versorgt.
    Der Großherzog hatte gleich geantwortet. Er wird, noch bevor er zu den Manövern nach Berlin aufbricht, für seinen Freund werben. Er sei, schrieb er, guter Dinge. Und weil er eben ein Mensch der Tat war, legte er gleich bei, wie er die Werbung auszustatten gedenkt: Ein Haus in Weimar für die Mutter. Ulrike, die erste Dame am Hof. Für alle Fälle eine Witwenpension für Ulrike. Jährlich 10   000   Taler. Daswar Goethe peinlich, aber wenn Carl August das so sah, dann konnte es nicht ganz falsch sein. Er habe sich, schrieb er, bei Levetzows anmelden lassen. Er wohnte ja im Palais drüben nur einen Stock unter ihnen.
    Dann die alles ändernde Nachricht, Levetzows packen schon, sie verlassen Marienbad, reisen nach Karlsbad, schon übermorgen. Goethe las das lavendelblaue Briefchen, das Ulrike Stadelmann zugesteckt hatte, mehr als einmal. Wie schon öfter, schrieb Ulrike, eigentlich wie immer wolle die Mutter auch diesen Sommer in Karlsbad beschließen. Das stimmte doch. Im vergangenen Jahr hatte auch er den Sommer in Karlsbad enden lassen. Zusammen mit Levetzows. Im viel älteren, viel würdigeren Karlsbad, wo er schon zwölfmal fröhlich und sommerlich der Gesundheit und der Gesellschaft gehuldigt hatte. Und spürte, das wird es nie mehr geben. Er sah wieder vor sich, was in Frau von Levetzows Gesicht vorging, als sie gehört hatte – und das Gehörte nicht mehr bezweifeln konnte   –, dass ihre Tochter und Goethe sich ohne Verabredung als Lotte und Werther kostümiert hatten. Goethe hatte in dem, was in ihrem Gesicht vorging, gelesen, dass sie erstens in dieser unverabredeten Gemeinsamkeit ein Zeichen sah für eine Gleichgestimmtheit der beiden, mit der sie nicht gerechnet hatte, und dass sie zweitens glaubte, die beiden so schnell wie möglich von einander trennen zu müssen.
    Dann kam Ulrike selbst. Ihr erster Blick galt der Stirn. Sie wollte ihn berühren. Das sah man. Sie war ganz und gar eine gehemmte Bewegung. Ob es noch wehtue, fragte sie und zeigte hinauf.
    Er schüttelte den Kopf. War der Werbebrief des Großherzogsbei Levetzows eingetroffen? Oder hatte der Allergnädigste Herr den Antrag sogar persönlich vorgetragen? Wie er das exekutieren werde, hatte er nicht mitgeteilt. Aber wenn Ulrike von dem Antrag wüsste, wäre sie anders eingetreten. Aber wie?
    Sie wiederholte jetzt, was sie ihm schon geschrieben hatte: Levetzows reisen ab nach Karlsbad. Noch vor dem Zwanzigsten. Sie sagte das so hin, dass es harmlos klingen sollte. Dieser Verharmlosungsaufwand fiel ihm auf. Und die, der er als Vorleserin, wie er jetzt wieder gehört hatte, mehr Energie und Darstellungslebhaftigkeit empfohlen hatte, machte jetzt durch die Wiedergabe dessen, was ihr aufgetragen war, ganz und gar deutlich, dass das, was sie sage, nicht ihre Entscheidung sei, sondern die ihrer Mutter. Sie trug vor, dass sie hier selber nichts sage, nur wiederhole, was ihr gesagt worden war.
    Das riss ihn hin. Er legte ihr beide Hände auf die Schultern, vermied es aber auch nur im mindesten, sie an sich zu ziehen. Dass bei Levetzows dieser enorme Antrag eintreffen würde, ohne dass der, der diesen Heiratsantrag stellte, auch nur ein Wort davon gesagt hatte! Er musste hoffen, die Levetzows wüssten noch nichts. Ulrike hätte, wäre der Antrag bis zu ihr gekommen, nicht so hier eintreten können. Das war klar genug.
    Also, Ulrike, er muss es Ihnen sagen, es ist höchste Zeit, vielleicht

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