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Ein liebender Mann

Ein liebender Mann

Titel: Ein liebender Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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lässt sich schon in diesem Augenblick Seine Durchlaucht bei Ihrer Mutter melden, vielleicht ist er schon vorgelassen worden und spricht in diesem Augenblick aus, dass er für Herrn von Goethe um Ihre Hand anhält.
    Das brachte er immerhin vor. Und zwar im besten, festesten,von keinem Zweifel angekränkelten Ton. Gut, sein Herz wollte, dass er bemerke, ein wie gewaltiger Augenblick dies sei. Jetzt Ulrikes Augenkraft. Diese nichts verbergen könnenden Augen. Vielleicht würde das nicht jeder, den sie anschaute, sagen. Für ihn waren es erzählerische Augen. Ihr Blick sagte ihm jetzt überdeutlich: Überrascht bin ich schon. Sie sehen, ich staune. Ich will überhaupt nicht verbergen, dass mir, was Sie sagen, in die Seele fährt als eine frohe Botschaft. Was die Botschaft ist, weiß ich nicht. Ich staune viel zu sehr. Ich bin glücklich und weiß überhaupt nicht, warum. Vielleicht träum ich auch. Man muss doch nicht immer wissen, was man tut, wenn man etwas tut. Jetzt weiß ich, dass ich träume. Aber ein hübscher Traum, Exzellenz.
    Weil sie nichts sagte, aber so erzählerisch schaute, sagte er: Zum Glück sind wir beide Menschen ohne tragische Neigungen.
    Das stimmt, sagte sie. Das klang erleichtert. Ihr Gesicht, das könnte ihre Art Fröhlichkeit sein. Auch kühn sah sie aus. Sie sah ja immer gern nach oben. Jetzt passte das.
    Er musste plötzlich sagen, der Allergnädigste, der ihn in Briefen oft genug als Freund anrede, habe darauf bestanden, diesen Antrag bei der Frau Mutter mit Wirklichkeiten auszustatten, die er, der Antragsteller, niemals so schreiend nüchtern hätte benennen können. Und überhaupt, das bitte er jetzt als seinen Zustand zu nehmen, dieser ganze Antrag ist ein Ausflug ins Nichthierhergehörige, zu ihr genau so wenig passend wie zu ihm. Die Ehe, das weiß er, ist eine Form, etwas Unmögliches möglich zu machen, ist aller Ehren wert, aber wer es ernst meint, bedarf ihrer nicht.Wenn beide es ernst meinen, ist nichts so überflüssig wie die Ehe. Sie sehen, er kann nicht einmal in diesem höchst prekären Augenblick, der aber durch Ihrer Augen Blick vollkommen untragisch wird, er kann auch jetzt nicht ganz auf den sinnierenden Nebenton verzichten. Die Ehe ist nur da notwendig, wo einer der beiden es weniger ernst meint als der andere. Das war’s, liebe Ulrike. Wie Sie jetzt schauen, so kann vielleicht, vor einiger Zeit, geschaut haben der erste Mensch, dem gerade bewiesen worden war, die Erde sei keine Scheibe, sondern eine Kugel.
    Er nahm seine Hände von ihren Schultern. Sie sah herauf zu ihm. Ich bin keine einssiebenundachtzig, dachte er. Sie schickte ihren Mund voraus, näherte ihr Gesicht seinem Gesicht und sorgte dafür, dass die zwei Münder einander wieder berührten. Eine unmessbare Zeit lang. Aber ihre Augen waren, als er ihren Mund an seinem Mund spürte, geschlossen.
    Dann war sie draußen. Dass er das nicht verhindert hatte! Bitte, sie war jetzt nicht mehr da! Solange sie da ist, vor ihm steht, sichtbar, erreichbar, da läßt sich doch überhaupt nicht sagen, nicht empfinden, wie es sein wird, wenn sie gegangen sein wird, draußen sein wird, nicht mehr zu sehen, nicht mehr erreichbar. Wenn man diesen Zustand vorausempfinden könnte, würde man sie doch nicht gehen lassen, man würde sie, ach was würde man denn   …
    Aber sie ist ja noch in der Nähe. Du siehst sie gleich wieder   … Er ging herum und überlegte. Dieser lächerliche Antrag. Die hilfloseste Art, seinen Ernst auszudrücken. Aber vielleicht braucht eine Mutter solches Hilfszeug. Sie ist nur fünfzehn oder sechzehn Jahre jünger als der Graf Klebelsberg.Und Heirat scheint zwischen ihnen kein Thema zu sein. Gut, der Antrag war eine Art Rückfall ins Unnötige, Unpassende, Unzeitgemäße   …
    Noch am selben Abend kam der Brief des Herrn und Freundes: Allerfreundlichste Aufnahme des Antrags durch die Familie von Levetzow, Frau von Levetzow, selber heiratsgeschädigt, wird nie eine Tochter zu einer Ehe nötigen, langes Gespräch der Mutter mit Ulrike, ihm mitgeteiltes Ergebnis: Wenn Ulrike Herrn von Goethe nützlich sein kann, ist sie sofort einverstanden. Bedenken: Seine Familie in Weimar, Sohn, Schwiegertochter, drei Enkel. Dass die sich eingeschränkt fühlen könnten, macht alles fragwürdig.
    Goethe las das mehr als einmal. Natürlich, auf eine solche formale Annäherung konnte nur eine solche formale Antwort erfolgen. Das einzige Wort, das in ihm Anklang fand, war das Wort nützlich. Wenn Leserinnen des Manns

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