Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein liebender Mann

Ein liebender Mann

Titel: Ein liebender Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
Vom Netzwerk:
befolgte, begonnen. Aber er wusste, sein Sohn war stolz darauf, dass ihm alles schmeckte, Feinschmeckerei verachtete er, und Diät hielt er für eine bösartige Erfindung geldgieriger Ärzte. Einer seiner Lieblingssätze war: Alles Komplizierte ist mir fremd, Napoleon war auch nicht kompliziert. August war ein Napoleon-Verehrer.
    Zum Abendessen hatte er den Vater und sich beim Erzfreund Knebel einladen lassen. Das freute den Vater. Knebel war neben Zelter der einzige Mensch, mit dem er per Du war. Fast fünfzig Jahre war es jetzt her, seit Knebel, Prinzenerzieher am Hof, ihn in Frankfurt mit Carl August zusammengebracht hatte, sie waren Freunde geworden und geblieben. Allerdings hatte Goethe den immer mehr zum Alleskritisierer und -verdammer werdenden Freund vor dieser Negationsverfallenheit nicht bewahren können. Also zu Knebel. Einen Abend lang war das immer prächtig. Erst wenn am nächsten Abend auch nur opponiert wurde, gab Goethe seinen Freund wieder für einige Zeit auf. Aber diesmal sagte Knebel zur Begrüßung: Was haben sie denn mit dir gemacht?
    Goethe: Glücklich gemacht haben sie mich.
    Knebel: Du warst bei dem Verjüngungskünstler, den du im Mann von fünfzig Jahren beschäftigst.
    Goethe: Wer mich liebt, merkt’s.
    Knebel: Anders herum klingt’s besser: Wer’s nicht merkt, liebt dich nicht.
    Goethe: Einverstanden.
    Knebel: Goethe mit mir einverstanden! Das wird ein Abend!
    Dann, das Thema an diesem Abend: Die Studenten hatten Protestmärsche gegen Goethe inszeniert, weil sie irgendwoher gehört hatten, Goethe komme für einige Tage nach Jena. Pereat Goethe und Nieder mit Goethe! Abendelang. August meldete, dass Untersuchungen gegen die Rädelsführer schon eingeleitet seien.
    Knebel sagte: Das komme von der ewigen Nachgeberei und Liberalität. Alle, die da marschierten, sofort des Landes verweisen.
    Goethe fragte nach den Gründen dieser Proteste.
    Die hatte August schon herausgebracht. Es sind nationalistische Schwachköpfe, denen Goethe, seit er sich mit Napoleon getroffen hatte, verhasst und verächtlich sei.
    Dummheit währt ewig, sagte Knebel.
    Dann hätte es doch noch ein freundlicher Abend werden können, da rückte August mit der Nachricht heraus, Dr.   Rehbein sei heute früh um fünf Uhr aufgebrochen, nach Eger, wo er ja herstamme, die Braut zu holen, dann werde sofort geheiratet.
    Das traf Goethe. Er lobte die Braut in schönsten Tönen, aber die rasche Heirat nannte er einen dummen Streich. Eine extemporierte Verlobung, wunderbar, aber eine Heirat aus dem Stegreif: ein Gräuel. Liebe entsteht immer im Nu. Aber die Ehe ist die Synthese des Unmöglichen. Das will zuerst gedacht sein.
    Goethe war wütend. Er drängte zum Aufbruch. Nachher saß er noch mit August im Inspektor-Haus. Es war nicht zu übersehen, dass August mit ihm gern noch weiter das ThemaHeirat besprochen hätte. Goethe spürte, dass August jetzt einen Satz über Ulrike von Levetzow erwartete.
    Man habe doch so viel gehört den ganzen Sommer, sagte August. Auch habe darunter Ottilie gelitten. Das dürfe den Vater, dank der besonderen Beziehung zwischen ihm und ihr, nicht wundern.
    Goethe spürte seinerseits, dass es ihm unmöglich war, dem Sohn jetzt das hinzusagen, was der dann diese Nacht noch mit Stafettenpost nach Weimar senden konnte. Als August merkte, der Vater werde den Namen Levetzow nicht aussprechen, verzichtete er auf weitere Fangfragen.
    Dann gab er das Programm für die nächsten drei Tage bekannt. Goethe hatte alles zu visitieren, was er einmal gegründet hatte: Museen, Bibliotheken, die Tierarzneischule, den Botanischen Garten, die Sternwarte, das neue Gebäude der Veterinäranstalt. Dann übergab August weisungsgemäß den Brief, mit dem der Großherzog Goethe eine glückliche Rückkehr wünschte. Der Brief endete mit einem dringenden Wunsch des Herrn. Goethe solle ab sofort der Curator der Universität Jena werden. Er hoffe, Goethe werde seinem Freund diesen Wunsch nicht abschlagen. Wie wichtig es gerade durch die letzten studentischen Unruhen geworden sei, Goethe in Jena als Curator zu haben, verstehe sich von selbst.
    Goethe faltete den Brief zusammen, sagte, er sei rechtschaffen müde, bis morgen, lieber August.
    Der wollte noch wissen: Ja oder nein.
    Goethe sagte nichts, schüttelte aber den Kopf energischer, als es seine Art war.
    In seinem keinerlei Bequemlichkeit gestattenden Arbeitsraumsetzte er sich an den Schreibtisch. Das Schlafzimmer aufzusuchen war ihm nicht möglich. Vor dem Anblick des

Weitere Kostenlose Bücher