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Ein liebender Mann

Ein liebender Mann

Titel: Ein liebender Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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untergebracht hatte.
    Und hör ein Wort, das schönste dich zu fassen
    Du wirst mich finden wie du mich verlassen.
     
    Und wundert Sich daß nicht um ihretwillen
    Die Sonne stille steht.
     
    Selbst nach dem letzten Kuß mich noch ereilte,
    Den letztesten mir auf die Lippen drückte –
     
    Was wir hatten, wo ist’s hin?
    Und was ist’s denn was wir haben?
    Morgen, dachte er, sobald er in Weimar sein wird, schreibt er die Elegie ab, überarbeitet er die Elegie, dass er sie hat. Zeigen wird er sie keinem Menschen. Ulrike, ja, ihr sofort. Aber da er ihr nichts schicken kann, was die Mutter nicht sieht, kann er ihr, der einzigen Adressatin, die Elegie nicht schicken. Also kommt, was jetzt in ihm beginnt, nicht mehr heraus aus ihm. Um das, was jetzt in ihm geschieht, wird er die Welt betrügen.
    Wenn seine Gedanken sich so aufführten in ihm, legte er sie immer vollständig Ulrike vor. Er musste immer wissen, wie Ulrike dachte über das, was er gerade hatte denken müssen. Zum Glück war sie in ihm so gegenwärtig, dass er, wenn er sich ihr anvertraute, nie ohne ihre Antwort blieb.

Drei

1.
    Weimar, 7.   Oktober 1823
    Liebe Ulrike,
Sie haben, als ich fragte, ob ich Ihnen, wenn es gar nicht anders ginge, schreiben dürfe, gesagt:
    Aber ja.
    Wenn Sie ja sagen, sagen Sie JA. Empfände ich das nicht so genau, könnte ich Ihnen nicht schreiben. Es hilft, dass ich nicht weiß, ob ich, was ich Ihnen schreibe, gleich werde schicken können. Auch weil ich fürchte, Ottilie hat unsere Postmenschen herumgebracht, bezaubert, bestochen oder bedroht, so dass nichts von mir Weimar verlässt, was ihr nicht vorher gezeigt wird. Einen Brief von mir an Sie würde sie sofort konfiszieren. Seit ich aus Böhmen zurück bin, ist sie krank. Offenbar wurde aus Marienbad mehr gemeldet, als wir uns haben vorstellen können. Kaum hatte man einander, wie es schien, anständig begrüßt, wurde sie bettlägerig. Ich dürfe sie, sagte Söhnchen August, nicht besuchen, da ich das Übel sei, an dem sie leide. Mein Dr.   Rehbein ergänzte, es gebe neuerdings eine vielleicht zukunftsreiche Therapie, die vorschreibe, ein Übel mit dem Übel zu bekämpfen und so zu heilen. Er brachte es so weit, dass ich sie besuchen durfte. Wie lange war ich nicht mehrim Mansardenstockwerk gewesen, das ihr Reich ist. Auch Sohn August lästert manchmal, er sei droben (im Mansardenstockwerk) nur ein Durchreisender. Grauenhaft lag sie da, den Blick zur Decke, das immer schon zur Angespanntheit tendierende Gesicht wie zum Zerreißen gespannt, die immer schon für dieses eher kleine Gesicht zu prominente Nase dominierte brutal, weil das Gesichtchen praktisch verschwunden war. Die nie beträchtlichen Lippen waren weg. Die Arme lagen kraftlos neben ihr, aber die Hände waren zu Fäustchen verkrampft. Und gönnte mir keinen Blick ihrer schwarzen Augen. Zum Glück. Ich bin andere Augen gewöhnt. Lange blieben wir stumm. Ich konnte nichts sagen. Einmal versuchte ich, eine Hand auf ihre Faust zu legen, da schrie sie auf, ein Schmerzschrei, ein Abwehrschrei, ein Lass-mich-in-Ruh-Schrei. Auf einmal brach dann doch die Suada los. Gerichtet gegen Sie, Ulrike. Was hat sie Sie nicht alles genannt. Sie und alle Levetzows. Eine Ehrgeizbande, die die Bäder besetzt und sich an die fettesten Brocken heranmacht. Eine auf mich nicht zutreffende Bildwahl. Die Sprachbilder, in die sie Sie zerrte, kann ich nicht wiedergeben. Noch nicht. Vielleicht gelingt uns ein Briefwechsel, der mir mehr erlaubt, als erlaubt ist. Dass Sie, Ulrike, eine Ehrgeizhure sind, sei europaweit bekannt. Nur damit Sie wissen, womit ich hier auskommen muss. Ich bin seitdem jeden Tag bei ihr gewesen. Dr.   Rehbein sagt, bevor ich sie besucht hätte, habe sie dagelegen, keinen Ton von sich gegeben und nicht gegessen. Letzteres glaube ich nicht. Das wissen zu lassen gehört zu dem Krieg, den sie gegen mich führt. Und kein Krieg ist je von einem verursacht worden. Zu einem Krieg gehören immer mindestenszwei. Meine Kriegsschuld: Ich habe all diese Jahre geduldet, mitgemacht, verschuldet, dass Ottilie sich mit mir wie verheiratet fühlte. Söhnchen August wurde zwischen uns gehandelt als eine Partie, die sie machen musste, um an mich zu kommen. Natürlich wurde dergleichen immer ins Scherzhafte gehoben, aber die Scherztonarten dienten nur zu der vom Anstand vorgeschriebenen Verkleidung eines unanständigen Gefühls, das seinerseits wuchs, je mehr es verkleidet werden musste. Söhnchen August nahm’s nicht krumm, so war

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