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Ein liebender Mann

Ein liebender Mann

Titel: Ein liebender Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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doch seine erotische Fremdgängerei bestens legitimiert.
    Aus solchen Verhältnissen kam ich immer nach Böhmen. Dann Sie und Ihre Schwestern und Ihre Mutter, eine Familie, die die Welt spielend bestand. Dass ich kein Direktloslachender bin, haben Sie bemerkt. Nirgends habe ich mehr gelacht als in Ihrem Kreis. Ich darf zugeben, dass ich ohne Sie in keiner fröhlichen Familie denkbar bin. Wieland, der Dichter und der Weise, Sie haben gehört von ihm, hatte eine andauernde Stimmungsbereitschaft, die er Humor nannte. Erzgescheit, wie er war, hat er mich stundenlang großartig mit Belehrungen über den Humor unterhalten. Daher weiß ich, dass ich keinen Humor habe. Jeder, der Humor hat – ich glaube ja gar nicht, dass jemand Humor haben kann – jeder, der Humor hätte, hätte ihn erheuchelt. Wer Humor hat, betrügt das Leben um seinen Ernst. Seinen furchtbaren Ernst. Söhnchen August hat gesagt: Goethe ist Rokoko. Was daran stimmt, ist, dass mein ganzes Leben, bevor ich Sie kennenlernen durfte, Rokoko war. Der Ernst, der durch Sie, die Lachende, in mein Leben kam, lässt alles, was davor war, als Rokokoerscheinen. Wenn Wieland jetzt noch lebte – er ist gestorben, weil er, als er im Winter bei mir zu Besuch war, gegen meinen dringenden Rat mit seinen Lackschühchen und Seidenstrümpfen und Samthosen, nur mit einem dürftigen Mäntelchen bekleidet, zu Fuß durch Schnee und Eis von Weimar nach Oßmannstedt gestapft ist, Lungenentzündung, aus   –, wenn er noch lebte, könnte ich ihm als Belehrung anbieten, dass der Humor der größere Betrug ist als das, was unter dem Namen Rokoko Geschichte gemacht hat. Rokoko war immer ein Betrug, der wusste, dass er ein Betrug war. Rokoko hat sich nie ernst genommen. Humor nimmt sich ernst, ist aber kein Ernst, also ist er der wirkliche Betrug. Meine pädagogische Ader schwillt wieder an. Verzeihen Sie. Ich will ja nur sagen, dass durch Sie in mein Leben ein Ernst gekommen ist, der davor unbekannt war. Gegen Sie half kein Rokoko.
    Das habe ich in Böhmen öffentlich gestanden. Dass meine Liebe zu Ihnen dann so ungemildert weitergemeldet wurde und, durch böswilligste Tonarten noch entstellt, hier übel ankam, machte Ottilie zu der Furie, die sie auch ist. Die ist jeder, wenn die Umstände danach sind. Und die sind hier jetzt danach. Kann sein, es ist ein Weltgesetz: Wenn einer glücklich wird, wird dadurch ein anderer genau so unglücklich, wie der glücklich wird. Zur Erhaltung des Weltgleichgewichts. Ich muss regelmäßig zu ihr ans Bett   – Dr.   Rehbein verlangt’s – und muss mich niederschreien lassen als Lustgreis, Herumscharwenzler, Mädchenbetatscher, Kindermissbraucher und noch Schlimmeres. Auch Unmensch bin ich jetzt. Der Welt wird die Edelfassade präsentiert, in Wirklichkeit grausamer gegenseine Nächsten, als Nero gegen seine Feinde war. Ottilie leidet sehr. Ich könnte sagen: Ich auch. Aber wenn ich bei ihr bin, habe ich nichts zu sagen. Wirklich nichts. Ich kann nicht sagen, und das allein möchte ich, müsste ich sagen, ich kann nicht sagen, dass ich Ulrike liebe und wie ich sie liebe und dass ich nichts, nichts, nichts dagegen tun kann, dass ich sie liebe. Ich muss heucheln. Ich muss sagen: Marienbad, Karlsbad, das ist Sommertheater. Jeder Mensch braucht ein Sommertheater. Diese Sorte Unsinn muss ich versuchen, ihr einzuflößen. Ich muss ja interessiert daran sein, dass sie wieder aufsteht. Ich bin unter anderem auch eine Firma. Ahnen Sie, wie viele Mitarbeiter ich habe? Stadelmann, John, Mayer, Riemer, Kräuter, Eckermann. Fast täglich mein Erzvertrauter, der Kanzler von Müller, der einmal mein Testament verwalten soll. Seiner Liebenswürdigkeit vertrau ich am meisten. Ihn halte ich für treu. Durch meinen Stab hat Weimar, und das ist die Welt, Zutritt zu mir. So kommt hinaus, wie es hier steht und zugeht. Dann die nie abreißende Kette höchst besuchsberechtigter Personen und Persönlichkeiten. Soll es mir gleichgültig sein, liebe Ulrike, dass ich jetzt als Lustgreis – das ist das Beschimpfungswort, das mich am meisten trifft – und Unmensch erscheine? Oder bin ich es gar? Sagen Sie’s mir, bitte, bitte, bitte. Mein Vertrauen in Ihre Seh- und Urteilsfähigkeit ist, gestatten Sie mir die Nichtübertreibung, unendlich. Wenn in Ihnen auch nur ein Hauch dafür stimmt, mich so zu nennen, bitte, tun Sie’s. Das Entsetzliche: Wenn Sie mich so nennen würden, so nennen müssten, würde mich das überhaupt nicht treffen, nicht beleidigen, ärgern oder

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