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Ein liebender Mann

Ein liebender Mann

Titel: Ein liebender Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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Natur zu überlassen? Der Natur ist es egal, wie wir leiden. Uns nicht. Wir müssen uns im prekären Fall dafür entscheiden dürfen, das Unzumutbare nicht durch kulturellen Firnis zumutbar erscheinen zu lassen. Und Schluss.
    Wenn meine Liebe zu Dir sich in mir als Aussichtslosigkeit durchsetzen würde, was ich jetzt Tag und Nacht verhindere, dann müsste ich aufhören zu leben. Und kein Napoleon könnte dann an mir herumkritteln wegen schwächender Motivvermischung. Auch wenn der Herr XY mit seiner Parodie meiner Wanderjahre viel mehr Geld verdient hat als ich mit dem Original, kein Napoleonkönnte in meiner Selbsttötung, wenn sie denn geschähe, auch nur eine Spur von beruflicher Kränkung entdecken. Sie würde aus Liebe geschehen und aus nichts sonst. Also gut, damit ist gestanden: Ich hoffe noch. Aber ich weiß, es ist aussichtslos. Aber ich glaube nicht, dass es aussichtslos sei. Zuzugeben ist, dass ich auch am zweiten Faust und an den zweiten Wanderjahren noch pflichtgemäß zu tun habe. Was ist eine Pflicht gegen eine aussichtslose Liebe! Zum Glück ist die Aussichtslosigkeit keine unansprechbare Göttin. Ich handle Tag und Nacht mit ihr. Sie ist listig, ich bin auch nicht einfallslos. Ich denke nicht in jedem Augenblick alles, was ich denken könnte. Diesen Gefallen darf man der Aussichtslosigkeit nicht tun. Liebe Ulrike, ich bin noch am Anfang. Was ich jetzt schon ahne: Nichts verlangen von sich. Vorerst. Alles könnte falsch sein. Wenn ein Satz für wichtiger gehalten werden soll als ein anderer, dann immer der Satz, der am wenigsten sagt. Vorerst: Über Widriges erhebt man sich dadurch, dass man seine Notwendigkeit anerkennt, sonst nichts. Vorerst. Sie haben mit Bewunderung gesagt, Napoleon sei eine unbedingte Natur. Ach, fänden Sie doch, ich sei auch eine!
    Ich bin am Anfang. Julie von Egloffstein, die Malerin, ihre Schwester Linchen, die Sängerin, Adele Schopenhauer, so klug wie schön, die Ottilie-Schwester Ulrike von Pogwisch, die vor Lebensgier andauernd Stolpernde, die ich, wenn sie in meine Gedanken eindringt, nur noch die Pogwisch nenne, alle wollen lindernd um mich herum sein. Es ist zu viel geredet worden von einem bestürzend schönen Mädchen, das dem Geheimrat die eifrigste Zuhörerin, die schlagfertigste Antworterin und die alleranhänglichste Begleiteringewesen sein muss, unzertrennlich seien die gewesen, Tag und Nacht   … Ja, ja jaaa, so schwirrt es immer noch. Am weitesten geht Kanzler von Müller, mein Erzvertrauter, der immer lieber bei mir sitzt, als drüben bei Hof den Kanzler zu spielen. Kanzler von Müller hat sich so hingebeugt zu mir, dass ich ihm Sätze gesagt habe, die als Geständnisse gegen mich verwendet werden könnten. Der Kanzler ist durch nichts von mir abspenstig zu machen. Alle anderen könnten durch Ottilie und das Söhnchen zu Verrätern werden. Nur die Männer natürlich. Nicht alle Männer. Aber alle Männer, die Gedichte machen. Und alle Männer um mich herum machen Gedichte. Jedem, der dichtet, sind seine Gedichte das Höchstheilige, alles andere ist disponibel. Allerdings, auch da bestätigt die Ausnahme die Regel: Kanzler von Müller, der natürlich auch Gedichte macht, wird mich nie und an niemanden verraten. Aber Riemer, John, Stadelmann, Eckermann, Kräuter. Wenn Ottilie sich der Gedichte dieser Männer erbarmt, kann sie mit denen machen, was sie will. Nichts kann sie machen mit Meyer, meinem Johann Heinrich Meyer, einem Nichtgedichtemacher par excellence, also unverführbar schlechthin, ach, Ulrike, der wäre Ihr Freund, wenn Sie kämen, jetzt kommen Sie doch, Hofrat Meyer, der Kunst-Meyer genannt, mit mir in einem Bett in Rom, von mir herübergelockt nach Weimar, ein Maler, Ulrike, der nicht malt, ein Schweizer in Weimar, also ein Verzweifelter. Sie MÜSSEN wissen, ich teile meine Freunde in Hoffer und Verzweifler. Hoffer Nummer 1 ist der Kanzler von Müller, Verzweifler Nummer 1 ist Meyer, ihm muss ich keine Silbe sagen, und er weiß alles, von ihm werde ich zehren.
    Die Egloffstein-Gräfinnen und Adele Schopenhauer sind mir so treu wie ich ihnen. Ich habe für alle drei eine General-Einladung erlassen. Sie können jeden Tag ab fünf kommen und bleiben, so lange sie wollen. Und das zarte Wunder: Ich bin ihnen ein großartiger Unterhalter. Ich war nie ganz schlecht als Mädchenunterhalter. Jetzt bin ich unübertrefflich. Da auch die sonstigen Klienten nie fehlen, merke ich, wie gut mein Programm funktioniert. Innen drin sieht das zarte Wunder so aus:

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