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Ein liebender Mann

Ein liebender Mann

Titel: Ein liebender Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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Bettes graute ihm. Nicht weil es so schlicht war wie ein Soldatenbett, sondern weil es ein Bett war. Er musste schreiben. Für die Weiterarbeit an der Elegie war es zu spät, war er zu müde. Also schrieb er, wenn er sich nicht im Gedicht direkt an Ulrike wenden konnte, an Frau von Levetzow. Sie hatte die Karlsbader Tage und Nächte so inszeniert, dass er herumgegangen und herumgesessen war wie ein Gefesselter. Aber wenn er ihr schrieb, musste er sich bedanken. Eine andere Tonart war nicht denkbar.
    Was auch immer er geschrieben hat, er hat immer mitgeschrieben, dass er schrieb. Der Schreibende soll nicht so tun, als komme, was er schreibe, von selbst auf das Papier. Wenn gar etwas nicht diktiert, sondern eigenhändig geschrieben wurde, musste auch vom Schreiben des Schreibenden die Rede sein. Wenn die Notwendigkeit zu schreiben so unmissverständlich war wie in Jena in der Nacht vom 13. auf den 14.   September 1823, dann fühlte sich der Schreibende in dieser Notwendigkeit geborgen. Der Zustand, in dem er war, kann Unschuld heißen oder Bedenkenlosigkeit oder Freiheit.
    Gleich gestand er der Ulrike-Mutter ganz offen, wie viel er sagen müsste und wie wenig er sagen könne. Wie sehr er ihr zu danken habe für diesen Sommer und besonders für die letzten Tage, das könne er jetzt nicht aufsagen, sie wird es, das weiß er, wissen. Und schrieb an die Mutter, was er an die Tochter schrieb, aber an sie nicht schreiben durfte. Ihm gehe es mit der Tochter nicht anders als mit der Mutter. Die Tochter wisse, wie es in ihm aussehe, siekenne sein Innerstes auswendig, also kann sie sich, wenn er in ihren Gedanken dann und wann vorkommt, alles besser sagen, als er es in seinem jetzigen Zustand könnte.
    … in meinem jetzigen Zustand   … So schrieb er. Und weil das mehr sagte, als er wollte, lenkte er ins Leichtfertige. Dass es durchaus angenehm sei, geliebt zu werden, werde die Tochter wissen, auch wenn der Freund manchmal aus dem Tritt gerät. Wo er hinkomme, höre er, wie gut und gesund er aussehe, und so heiter sei er. Die Heilmittel seien ihr und ihm bekannt.
    Bertha und Amalie wurden so erwähnt, dass sie, wenn der Brief vorgelesen werden sollte, zufrieden sein konnten. Durch das, was Frau von Levetzow ihm aus ihrem Leben erzählt habe, zum Beispiel über ihr Zusammensein mit Madame de Staël in Genf, fühle er sich ihr und der ganzen Familie mehr als je verbunden. Und der Tochter sei gesagt: Je mehr er sie kennengelernt habe, um so lieber habe er sie. Dass er wisse, was ihr gefällt und was ihr missfällt, würde er ihr gern persönlich beweisen. Also hofft er. Am Ende wie am Anfang.
    Treu anhänglich, G.
    Dann merkte er, er konnte nicht aufhören. An die Mutter Ulrikes zu schreiben war jetzt die einzige Möglichkeit, Ulrike anzusprechen. Also gestand er gleich auf einem neuen Blatt, dass er jetzt sehe, er könne gar nicht aufhören, ihr zu schreiben.
    Das Einzige, was ihm sofort einfiel: den Grafen Klebelsberg grüßen zu lassen, ihm zu danken für den bunten, überraschungsreichen Reiseproviant, den er Stadelmann, sorgfältig eingepackt, übergeben hatte. Und hörte auf.Und konnte nicht aufhören. Fing noch einmal an. Bei den Großeltern Broesigke in Marienbad hat er sich nicht verabschiedet. Die soll sie, bitte, grüßen und sagen, falls sein Glück es wolle, wäre er dort im nächsten Jahr gern wieder Gast. Womit er andeutete, dass er dann gern wieder im Palais wohnen würde. Hörte auf. Fing wieder an. Noch einen Hauptpunkt, schrieb er. Inständigst bitte er, ihn wissen zu lassen, falls die Levetzows den Ort verändern und wohin. Diesen Punkt so hervorzuheben war nach dem ganzen K V d O o M -Theater überflüssig. Aber schriftlich hatten sie’s noch nicht von ihm.
    Jetzt waren es schon vier Nachträge, jedes Mal wieder unterschrieben, als sei es das letzte Mal.
    Fing noch einmal an: Er habe vor sich das Glas mit den drei Namen, vom Efeu umrankt. Der schöne Tag des öffentlichen Geheimnisses. Er präzisiert: Der Anblick des Glases erfreut ihn, aber er tröstet ihn nicht.
    Das Bett war immer noch nicht möglich. Schreiben konnte er nicht mehr. Das wird die Schwierigkeit überhaupt werden. Solange er schrieb, und sei es der Mutter, war er bei Ulrike. Wenn er zu müde war zum Schreiben, wo war er dann? Jeden Tag hatte er im Wagen die Elegie weitergeschrieben. Immer möglichst früh am Morgen, gleich nach der Abfahrt. Jetzt holte er den Reisekalender heraus und las, was er notiert, aber in der Elegie noch nicht

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