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Ein liebender Mann

Ein liebender Mann

Titel: Ein liebender Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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konnte: Morgen komm ich und falle Dir um den Hals und sag Dir etwas Frechböswunderbares ins Ohr! Daran war sie nicht schuld. Also lass, bitte, nichts auf Ulrike kommen! Vergiss nicht: Ihre ergebene Freundin Ulrike. Wenn eine das Maschinenwesen favorisierende junge Frau so etwas schreibt, dannweiß sie, was sie schreibt. Er hatte sich jeden Tag, wenn er auf den nächsten Brief wartete, vorgestellt, was in einem solchen Brief stehen werde. Er hatte sich vorgemacht, er sei auf alles gefasst. Ein 31.   Oktober kommt kein zweites Mal. Das ist einfach nicht des Schicksals Art, einen Schlag zweimal zu senden. Also vor einem zweiten 31.   Oktober durfte er sich geschützt fühlen. Und was er seither von Ulrike bekommen hat, war lindernd, heilend. Zumindest von ihr so gemeint. Ihre ergebene Freundin Ulrike.
    Obwohl er genau genug wusste, dass man nichts vorher wissen kann und dass die Wirklichkeit immer alles übertreffen wird, auch das, was man nur ahnen konnte, war er wieder vollkommen überrascht. Das, was da mitgeteilt wurde, war nicht zu ahnen gewesen. Ulrike trägt jetzt einen Schmuck. An goldener Kette einen Smaragd. Einen tiefgrünen Smaragd, der ihre Augen wiederholt und dunkel macht. Ein Geschenk. Aber keins, das nur in der de Ror’schen Redensart ein Geschenk war, sondern wirklich eins. Eins, das sie nicht ablehnen konnte, weil er es ihr nicht für immer geschenkt hatte, sondern zur Probe. Sie soll den Stein tragen oder eben probieren, ihn zu tragen, und wenn er dann wieder einmal durch Straßburg kommt, erkundigt er sich nach ihrer Erfahrung. Dann wird man sehen. Warten wir’s ab, dann sehen wir weiter. Was will sie da machen, wenn sie nicht vorsätzlich grob sein will. Und das will sie doch nicht. Das hat er auch gar nicht verdient, der leidenschaftliche Schmuckverbreiter. Er macht wirklich den Eindruck, als sei es ihm peinlich, eine Frau ohne Schmuck anzusehen. Eigentlich müsse in einem Mädchen, spätestens wenn sie zwölf sei, die Lust auf Schmuck erwachen.Aber keine Norm gilt für alle. Allerdings, wenn man auf zwanzig zugeht und die Lust auf Schmuck schläft immer noch, dann sind die Freunde und Nächsten dieser Frau gefordert, diese Abstinenz auf die Probe zu stellen. So wurde geredet. Eine Zeit lang im Beisein der Mutter und des Grafen. Die Mutter hat er, das sei unvergessen, noch extra bezaubert durch sein Mocca-Geschenk. Ja, das sei der echte, reine Mocca-Kaffee, durch seine Verbindungen entwendet direkt aus dem Harem des Paschas von Ägypten, aber noch nicht gemischt und vermischt, sondern Bohne für Bohne ausgelesen. Die Mutter ist, nachdem sie davon getrunken hat, fast in Ohnmacht gefallen vor Entzücken.
    Dann erbat sich der Schmuckverbreiter noch eine Solo-Audienz. Die wurde ihm, mehr von der Mutter als von ihr, gewährt. Wahrscheinlich weil er gesagt hatte, wenn eine junge Frau ein so übermäßiges Vorbild habe, wie es ihre Mutter, nicht nur was den Schmuck betreffe, nun einmal sei, dann sei eine Art Verspätung des von der Natur vorgesehenen Wunsches nach Schmuck recht verständlich. Geredet habe der nicht laut, eigentlich auch nicht aufdringlich, eher nachdenklich, aber ohne Pause. Es war zu erleben, er kann nicht anders. Er muss das sagen. Um ihretwillen. Er habe sie dabei immer beobachterisch angesehen. Oder auch neugierig. Offenbar bereit, etwas zu entdecken. Zum Beispiel die Wirkung seiner von seiner Beobachtung genährten Rede. Also so viel Fürsorge einfach brüsk zurückzuweisen, etwa mit dem auf der Promenade so wunderbar eingeübten Ruf Themenwechsel, das sei leider nicht möglich gewesen. Ihr nicht möglich gewesen. Das müsse sie zugeben. Aber dass sie den Schmuckapostelbeleidige, habe der auch nicht verdient. Er sei wirklich eine Freundlichkeitsbegabung und könne einen spüren lassen, dass er es nur gut meine. Da sei jemand doch schon so gut wie eine Frau, und keine Frau in ihren Kreisen zwischen Konstantinopel und London läuft mit nacktem Hals und bloßen Ohren herum. Auf jeden Fall müsse sie, wenn sie demnächst beim Debütantinnen-Ball in Wien auftrete, sich eine Antwort überlegen, da sie hundertmal gefragt werde, warum diese Abstinenz. Und so weiter und so weiter.
    Ich habe so an Sie gedacht, Exzellenz. Das heißt, ihm zuhörend war ich bei Ihnen. Er sei doch ihr großer Gesprächsmeister gewesen, 49   Tage lang – ja, sie habe, wenn er gestatte, mitgezählt   –, 49   Glückstage hindurch habe sie, wie andere reiten lernen, sprechen gelernt, bei ihm, und es sei

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