Ein Lied für meine Tochter
eigene Lebensberaterin, ja?«
»Ich kann von meinen Kunden ja wohl kaum fordern, meine Ratschläge zu befolgen, wenn ich mich selbst nicht daran halte.«
»Und du glaubst wirklich, dass es dein Leben revolutionieren wird, wenn du zehn Meter den Flur hinunter ziehst?«
»Der Glaube ist die Straße, auf der wir unsere Träume erreichen. Der Glaube versetzt Berge.«
Ich rolle mit den Augen. Wenn ich mich recht entsinne, gab es vor gar nicht allzu langer Zeit eine ganze Bewegung, die auf diesem Mantra aufgebaut hat. Ich erinnere mich an einen Zeitschriftenartikel über eine Highschool-Schülerin, die nicht für die SAT-Prüfung gelernt hat, denn schließlich, so erklärte sie, glaube sie fest an ein perfektes Ergebnis. Unnötig zu erwähnen, dass sie keinen Platz an der Uni bekommen hat, und hinterher zog sie von einer Talkshow zur anderen und beschwerte sich bitterlich darüber, dass dieses ganze Glaubenszeug nur Unfug sei.
Ich lasse meinen Blick durch den Raum schweifen, der nun die Möbel meiner Mutter enthält. »Widerspricht es nicht irgendwie der Idee eines Neuanfangs, wenn du dasselbe Zeug hierherschleppst, in dem du schon seit Ewigkeiten schläfst?«
»Also ehrlich, Zoe, manchmal bist du ein richtiger Miesmacher.« Meine Mutter seufzt. »Ich bin gerne bereit, dir ein wenig Lebensberatung zu geben – kostenlos natürlich.«
»Ich nehme lieber einen Gutschein, danke.«
»Wie du willst.« Sie lässt sich an der Wand hinuntergleiten, und ich breche auf der Matratze zusammen. Als ich den Blick wieder hebe, sehe ich einen leuchtenden Sternenhimmel an der Decke.
»Die hatte ich ganz vergessen«, sage ich.
Nach dem Tod meines Vaters war ich von Geistern geradezu besessen. Verzweifelt wünschte ich mir, dass mein Vater einer war, in der Hoffnung, dass ich ihn eines Nachts, wenn ich aufwachte, auf meiner Bettkante sitzen sehen oder sein Flüstern wie einen Hauch in meinem Nacken spüren würde. Aus diesem Grund lieh ich mir jedes Buch über paranormale Aktivitäten aus der Bücherei, das ich finden konnte, und versuchte, in meinem Zimmer Séancen abzuhalten. Spätnachts schlich ich mich die Treppe runter und schaute mir heimlich Horrorfilme an. Meinem Lehrer fiel das auf, und er sagte meiner Mutter, dass ich vielleicht Hilfe brauchen würde. Und der Psychiater, zu dem ich nach dem Tod meines Vaters kurz gegangen war, erklärte ebenfalls, dass ich wohl Probleme hätte, um die man sich kümmern müsse.
Meine Mutter schickte mich jedoch nicht in Therapie. Sie war der Meinung, wenn ich wollte, dass mein Vater ein Geist ist, dann hätte ich wohl meine Gründe dafür.
Eines Abends sagte sie beim Abendessen: »Ich glaube nicht, dass er ein Geist ist. Ich glaube, er ist ein Stern und schaut auf uns hinunter.«
»Das ist doch Blödsinn«, spottete ich. »Ein Stern ist nur ein Ball aus Gas.«
»Und ein Geist ist …?«, erwiderte meine Mutter. »Frag mal einen Wissenschaftler. Er wird dir sagen, dass jede Minute ein neuer Stern geboren wird.«
»Menschen, die sterben, werden keine Sterne.«
»Da würden dir einige amerikanische Ureinwohner widersprechen.«
Ich dachte darüber nach. »Und wo sind die Sterne tagsüber?«
»Das ist es ja«, sagte meine Mutter. »Sie sind dann auch da. Sie beobachten uns, selbst wenn wir zu beschäftigt sind, um sie auch zu beobachten.«
Als ich am nächsten Tag in der Schule war, klebte meine Mutter kleine Plastiksterne an meine Zimmerdecke, und am Abend legten wir uns gemeinsam in mein Bett und krochen unter meine Decke. Diesmal schlich ich mich nachts nicht heraus, um mir einen Horrorfilm anzusehen. Stattdessen schlief ich in den Armen meiner Mutter ein.
Jetzt schaue ich sie an. »Glaubst du, ich hätte mich anders entwickelt, wenn Dad noch da gewesen wäre, als ich aufgewachsen bin?«
»Nun, sicher«, antwortet meine Mutter, steht auf und setzt sich neben mich aufs Bett. »Aber ich denke, er wäre auch so stolz auf dich.«
Nachdem Angela gegangen war, war ich kurz zu meinem Haus gefahren. Ich bin ins Internet gegangen und habe mir den Podcast von Joe Hoffmans Radioprogramm heruntergeladen. Dann hörte ich mir an, wie er und Wade Preston Statistiken herunterrasselten: Kinder, die von homosexuellen Eltern großgezogen werden, wurde erklärt, seien selbst anfälliger für Homosexualität, und oft seien ihnen die heimischen Umstände gegenüber ihren Freunden peinlich. Überdies würden vor allem lesbische Mütter ihre Söhne verweiblichen und ihre Töchter
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