Ein Lied für meine Tochter
vermännlichen.
»Mein Fall war in der Radioshow von Joe Hoffman«, sage ich.
»Ich weiß«, erwidert meine Mutter. »Ich habe es gehört.«
»Das hörst du dir an?«
»Mit religiösem Eifer … bitte, entschuldige das Wortspiel«, lacht meine Mutter. »Ich schalte ihn immer an, wenn ich auf dem Stepper trainiere. Ich habe nämlich herausgefunden, dass ich schneller gehe, wenn ich wütend bin.« Wieder lacht sie. »Rush spare ich mir für die Situps auf.«
»Aber was, wenn er recht hat? Was, wenn wir einen Jungen bekommen? Ich habe nicht die geringste Ahnung, was es heißt, einen zu erziehen. Ich weiß weder etwas über Dinosaurier noch über Baumaschinen oder Baseball …«
»Liebes, Babys werden nicht mit einem Handbuch ausgeliefert. Du wirst das genauso lernen müssen wie wir anderen auch: Du wirst alles über Dinosaurier lesen, was es zu lesen gibt, und im Internet Baseballbegriffe nachschlagen. Und man braucht keinen Penis, um einen Fanghandschuh zu kaufen.« Meine Mutter schüttelt den Kopf. »Lass dir bloß von niemandem sagen, was du sein kannst und was nicht, Zoe.«
»Aber du musst zugeben, dass es mit Dad einfacher gewesen wäre«, sage ich.
»Ja. In einem Punkt stimme ich sogar mit Wade Preston überein: Jedes Kind sollte von einem verheirateten Paar großgezogen werden.« Sie lächelt breit. »Und genau deswegen sollten gleichgeschlechtliche Ehen ja auch legalisiert werden.«
»Seit wann bist du denn eine Homo-Aktivistin?«
»Bin ich nicht. Ich bin eine Zoe-Aktivistin. Hättest du mir gesagt, du seiest Veganerin geworden, dann hätte ich zwar vermutlich nicht aufgehört, Fleisch zu essen, aber ich hätte für dein Recht gekämpft, es nicht zu tun. Hättest du mir gesagt, du wärest Nonne geworden, dann wäre ich zwar nicht konvertiert, aber ich hätte die Bibel gelesen, damit ich mit dir darüber sprechen kann. Aber du bist lesbisch, und deshalb weiß ich auch, dass laut einer Studie der American Psychological Association Kinder, die von homosexuellen Eltern großgezogen worden sind, im selben Maße heterosexuell sind wie die, die in heterosexuellen Familien aufgewachsen sind. Ich weiß, dass es keine wissenschaftliche Grundlage für die Aussage gibt, homosexuelle Eltern seien unfähiger als heterosexuelle. Es gibt sogar einige Vorteile, wenn man von zwei Müttern oder zwei Vätern großgezogen wird: Man entwickelt zum Beispiel mehr Einfühlungsvermögen. Außerdem spielen und kleiden sich Mädchen in so einer Familie auf eine Art, die alle Geschlechterstereotypen durchbricht. Jungen wiederum sind liebevoller und weniger promiskuitiv. Und vermutlich weil sie sich ihr ganzes Leben mit den unterschiedlichsten Fragen haben auseinandersetzen müssen, können Kinder, die von homosexuellen Eltern großgezogen werden, sich leichter anpassen.«
Mir klappt der Mund auf. »Wo hast du das alles her?«
»Aus dem Internet. Ich höre Joe Hoffman nämlich nicht nur einfach zu, ich recherchiere, damit ich weiß, was ich sagen werde, wenn ich Wade Preston erst einmal in die Ecke getrieben habe.
Egal was Joe Hoffman und Wade Preston auch sagen mögen, nicht die Geschlechter machen eine Familie aus, sondern die Liebe. Man braucht keine Mutter und keinen Vater, man braucht noch nicht einmal notwendigerweise zwei Eltern. Man braucht nur jemanden, der einem den Rücken stärkt.«
Ich stelle mir vor, wie meine Mutter sich Wade Preston vorknöpft, und ich lächele. »Ich hoffe, ich bin dabei, um das zu sehen.«
Meine Mutter drückt mir die Hand. Dann schaut sie zu den Sternen an der Decke hinauf. »Wo solltest du denn sonst sein?«, erwidert sie.
Ich beuge mich von hinten über Lucy und lege ihr die Gitarre in die Arme. »Halt sie wie ein Baby«, sage ich. »Mit der linken Hand stützt du den Hals.«
»So?« Sie dreht sich auf ihrem Stuhl herum, sodass sie zu mir hinaufschauen kann.
»Wir wollen mal hoffen, dass du die Kinder nicht erwürgst, wenn du sie als Babysitter so hältst …«
Sofort lockert sie ihren Griff um den Hals. »Oh.«
»Und jetzt leg den linken Zeigefinger auf die fünfte Saite am zweiten Bund und den linken Mittelfinger auf die vierte Saite, auch am zweiten Bund.«
»So verknote ich mir doch die Finger …«
»Gitarren spielen ist wie Twister für die Hände. Und jetzt nimm den rechten Daumen oder den Zeigefinger. Drück die Saiten mit der linken Hand herunter, und zupf mit der rechten sanft über dem Resonanzloch.«
Ein Akkord erfüllt das kleine Büro der Schulkrankenschwester, wo
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