Ein Lied für meine Tochter
im Raum.
Und auch wenn ich nicht laut darauf antworte, habe ich es im Stillen vielleicht schon getan.
Ich will nicht an einen Gott glauben, der mich dafür bestraft, dass ich eine Abtreibung gehabt habe.
Das heißt aber noch lange nicht, dass ich mich nicht gefragt habe, ob es vielleicht doch so ist.
»Würden Sie mir vielleicht mal sagen, was zum Teufel das war?«, verlangt Angela von mir zu wissen, kaum dass Richter O’Neill die Verhandlung für heute beendet hat. »Wie ist er an Ihre Klinikakten gekommen, verdammt?«
»Das musste er nicht«, antworte ich. »Max muss es ihm gesagt haben.«
»Und warum haben Sie es mir dann nicht gesagt? Es wäre weit weniger Schaden entstanden, wenn wir das direkt hätten ansprechen können. Aber jetzt, wo das erst im Kreuzverhör ans Licht gekommen ist …!«
Das ist wie mit Max’ Alkoholsucht. Jeder mag einen bekehrten Sünder. Hätten wir seinen Alkoholismus angesprochen, hätte es so ausgesehen, als hätte er etwas zu verbergen.
Und genau das hat Wade Preston heute mit mir gemacht.
Preston hat seine Aktentasche gepackt und lächelt höflich, als er an uns vorbeikommt. »Tut mir leid, dass du nichts von der Leiche im Keller deiner Mandantin gewusst hast, Angela. Und das ist in diesem Fall sogar wörtlich gemeint.«
Angela ignoriert ihn. »Gibt es da vielleicht noch etwas, was ich wissen sollte?«, verlangt sie von mir zu wissen. »Ich mag nämlich wirklich keine Überraschungen.«
Ich schüttele den Kopf. Ich bin noch immer wie benommen und folge Angela aus dem Saal hinaus. Vanessa wartet mit meiner Mutter auf mich. Beide sind sichtlich verwirrt. »Was zum Teufel ist da drinnen passiert?«, will Vanessa wissen. »Warum hat der Richter die Hälfte der Zuschauer rausgeworfen?«
»Können wir darüber im Auto reden? Ich will einfach nur nach Hause.«
Aber kaum öffnen wir die Tür zum Gericht und treten ins Freie, da prasseln Fragen auf uns ein.
Damit hatte ich gerechnet, aber nicht mit der Art von Fragen, die sie mir jetzt stellen.
Im wievielten Monat waren Sie, als Sie abgetrieben haben?
Wer war der Vater?
Haben Sie noch Kontakt zu ihm?
Eine Frau tritt auf mich zu. An ihrem gelben T-Shirt erkenne ich sie als Mitglied der Westboro Baptist Church. Sie hält eine Plastikflasche mit etwas in der Hand, das offenbar Fruchtsaft ist, doch von hier sieht es wie Blut aus.
Ich weiß, dass sie das auf mich werfen wird, noch bevor sie es wirklich tut. »Manche Entscheidungen sind einfach falsch!«, schreit sie.
Ich springe einen Schritt zurück und reiße schützend die Arme hoch, sodass die Flüssigkeit nur auf meinem rechten Fuß landet. Ich habe Vanessa ganz vergessen, bis ich ihre Stimme neben mir höre. »Das hast du mir nie erzählt.«
»Das habe ich niemanden je erzählt.«
Vanessas Augen nehmen einen kalten Ausdruck an. Sie schaut zu Max hinüber, der zwischen seinen Anwälten das Gericht verlässt. »Irgendwie«, sagt sie, »glaube ich dir das nicht.«
Meine Mutter will sich Wade Preston vorknöpfen, weil er in meiner Vergangenheit herumgeschnüffelt hat. Erst als Angela sich einmischt und das magische Wort ausspricht (Enkelkind), verzichtet sie darauf, eine Schlägerei anzufangen. Mom sagt, dass sie mich später anrufen werde, um sicherzugehen, dass es mir gut geht, denn ihr ist klar, dass ich im Augenblick nicht reden will. Offensichtlich ist das jedem klar mit Ausnahme von Vanessa. Auf der gesamten Heimfahrt versuche ich, ihr zu erklären, was während des Kreuzverhörs passiert ist. Sie sagt kein Wort. Nur als ich die Abtreibung erwähne, zeigt sie eine Reaktion, sie zuckt unwillkürlich zusammen.
Als wir schließlich den Wagen abstellen, ertrage ich es nicht mehr. »Willst du mich jetzt für immer anschweigen?«, schreie ich, schlage die Autotür zu und folge Vanessa ins Haus hinein. »Ist das irgend so ein Katholikending?«
»Du weißt, dass ich nicht katholisch bin«, antwortet Vanessa.
»Warst du aber mal …«
»Das hat nichts mit der verdammten Abtreibung zu tun, Zoe. Es hat mit dir zu tun.« Sie schaut mir in die Augen. »Das ist ein ziemlicher Brocken, den du da verschwiegen hast. Das ist … Das ist, als hättest du mir verschwiegen, dass du Aids hast.«
»Um Himmels willen, Vanessa, eine Abtreibung ist doch keine ansteckende Krankheit …«
»Glaubst du, eine ansteckende Krankheit ist der einzige Grund, jemandem, den man liebt, etwas Persönliches zu offenbaren?«
»Das war eine furchtbare Entscheidung, die ich damals treffen musste,
Weitere Kostenlose Bücher