Ein Lied für meine Tochter
wickele es mir um die Schulter.
Natürlich habe ich von dem Baby gehört. Es war einfach furchtbar, den Ehrengast einer Babyparty mit dem Notarzt ins Krankenhaus bringen zu müssen, damit sie dort eine Fehlgeburt erleidet. Ich hatte noch nicht einmal geplant, zu der Party zu gehen, aber Zoe hat mir irgendwie leidgetan. Welche Frau hat so wenige Freunde, dass sie zu ihrer Babyparty Kunden einladen muss, die sie als Musiktherapeutin engagiert haben? Hinterher hat sie mir natürlich noch mehr leidgetan. Nach der Party habe ich ihrer Buchhalterin dabei geholfen, in dem Restaurant aufzuräumen. Auf jedem Platz waren winzige Babyflaschen als Dekoration, und ich habe sie auf dem Weg hinaus eingesammelt und mir vorgenommen, sie Zoe irgendwann einmal wieder zurückzugeben. Sie liegen immer noch in meinem Kofferraum.
Ich weiß nicht, was ich zu ihr sagen soll. Wie geht es Ihnen? kommt mir irgendwie überflüssig vor, und Es tut mir leid hört sich sogar noch schlimmer an.
»Sie sollten es mal versuchen«, sagt Zoe.
»Was? Selbstmord?«
»Einmal Schulpsychologin, immer Schulpsychologin«, erwidert sie. »Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich mich nicht umbringen wollte. Genau das Gegenteil war der Fall. Wenn man da unten ist, spürt man das Schlagen seines Herzens bis in die Fingerspitzen hinein.«
Wie ein Otter lässt sie sich wieder ins Wasser gleiten und schaut zu mir hinauf. Sie wartet. Mit einem Seufzen werfe ich das Handtuch beiseite und springe wieder ins Becken. Unter Wasser öffne ich die Augen und sehe Zoe erneut zu Boden sinken, also mache ich es ihr nach. Ich drehe mich auf den Rücken, schaue zu den durch das Wasser verzerrten Lichtern hinauf und atme durch die Nase aus, damit ich zu Boden sinke.
Mein erster Reflex ist Panik – immerhin habe ich keine Luft mehr in der Lunge. Doch dann beginnt der Puls unter meinen Fingernägeln zu pochen, in meinem Hals und zwischen meinen Beinen. Es ist, als schwelle das Herz an, bis es allen freien Platz unter der Haut füllt.
Jetzt verstehe ich auch, warum dieses Gefühl der Fülle so ein Trost für jemanden ist, der so viel verloren hat.
Als ich es nicht mehr aushalten kann, strampele ich zur Oberfläche. Zoe taucht neben mir auf und tritt Wasser. »Als ich noch klein war, wollte ich Meerjungfrau werden, wenn ich groß bin«, sagt sie. »Ich habe immer geübt, indem ich mir die Füße zusammengebunden habe und so im städtischen Bad geschwommen bin.«
»Und was ist passiert?«
»Nun ja, offensichtlich bin ich keine Meerjungfrau geworden.«
»Mangelnde Qualifikation …«
»Aber es ist nie zu spät, nicht wahr?« Zoe zieht sich aus dem Becken und setzt sich auf den Rand.
»Ich weiß nur nicht, wie im Augenblick der Arbeitsmarkt für Meerjungfrauen so aussieht«, sage ich. »Vampire dagegen liegen gerade voll im Trend. Es gibt eine hohe Nachfrage an Untoten.«
»Das passt.« Zoe seufzt. »Und das jetzt, wo ich gerade in die Welt der Lebenden zurückgekehrt bin.«
Ich stehe auf und strecke die Hand aus, um Zoe aufzuhelfen. »Willkommen zurück«, sage ich.
Weil es eine YMCA-Anlage ist, gibt es hier keine hippe Saftbar. Also beschließen wir, uns einen Kaffee bei einem Dunkin’ Donuts zu holen, von denen es in Wilmington so viele gibt, dass man von der Tür des einen aus über die Schwelle des nächsten spucken könnte. Zoe folgt mir in ihrem Wagen und parkt neben mir. »Nettes Kennzeichen«, bemerkt sie, als ich aussteige.
VS-66 lautet meins. Kennzeichen mit niedrigen Nummern sind typisch für Rhode Island. Es gibt Leute, die zwei- oder dreistellige Kennzeichen an ihre Verwandten vererben, und ein ehemaliger Gouverneur hat die mit der Kennzeichenvergabe verbundene Korruption mal zum Wahlkampfthema gemacht. Und wenn man nicht nur eine niedrige Zahl, sondern auch seine Initialen als Kennzeichen hat – wie ich –, dann ist man vermutlich ein Mafiapate. Ich bin zwar kein Gangsterboss, aber ich weiß, wie ich bekomme, was ich will. An dem Tag, an dem ich meinen Wagen angemeldet habe, habe ich den Beamten je ein Sixpack gekauft und sie gefragt, was sie für mich tun können.
»Ich habe einflussreiche Freunde«, erwidere ich, als wir das Café betreten. Wir bestellen beide einen Vanille-Latte und setzen uns an einen Tisch auf der Rückseite des Ladens.
»Um wie viel Uhr müssen Sie auf der Arbeit sein?«, fragt Zoe.
»Um acht. Und Sie?«
»Ich auch.« Sie nippt an ihrem Kaffee. »Ich arbeite heute im Krankenhaus.«
Bei der Erwähnung dieses Ortes habe ich
Weitere Kostenlose Bücher