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Ein Lied für meine Tochter

Ein Lied für meine Tochter

Titel: Ein Lied für meine Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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näherbringen wollte. Am nächsten Wochenende gewann sie im Radio zwei Tickets für eine Filmpremiere, und sie fragte mich, ob ich sie begleiten wolle. Nach und nach verbrachten wir mehr Zeit miteinander, und so wie sich Freundschaften häufig entwickeln, konnte ich mir irgendwann gar nicht mehr vorstellen, sie nicht gekannt zu haben.
    Wir sprachen darüber, wie sie die Musiktherapie für sich entdeckt hatte (als Kind hatte sie sich den Arm gebrochen und musste operiert werden, und in der Kinderklinik gab es eine Musiktherapeutin). Wir sprachen über ihre Mutter (die Zoe dreimal am Tag anruft, oft, um über etwas vollkommen Sinnloses zu diskutieren, zum Beispiel über Anderson Coopers Bericht vom vorigen Abend oder auf welchen Tag Weihnachten in drei Jahren fällt). Und wir haben auch über Max gesprochen, über seine Alkoholsucht und dass er Gerüchten zufolge inzwischen die rechte Hand des Pastors der Eternal Glory Church ist.
    Und es gibt da etwas, das mich an Zoe völlig überrascht hat: Sie ist lustig. Manchmal hat sie so eine schräge Art, die Welt zu sehen, dass ich einfach lachen muss.
    Wenn ein Schizophrener versucht, sich umzubringen, ist das dann versuchter Mord?
    Ist es nicht ein wenig beunruhigend, dass Ärzte ihren Arbeitsplatz ›Praxis‹ nennen? Schließlich braucht nur jemand Praxis, der noch üben muss. Und ein Raucherbereich im Krankenhaus ist doch eigentlich nichts anderes als ein Pinkelbereich im Schwimmbad, oder?
    Wir haben viel gemeinsam. Beide sind wir bei alleinerziehenden Müttern aufgewachsen (ihr Vater ist gestorben, und meiner ist mit seiner Sekretärin durchgebrannt). Beide wollten wir immer reisen, nur hatten wir nie das Geld dafür, und wir hatten Angst vor Clowns. Auch sind wir beide insgeheim vom Reality-TV fasziniert. Wir lieben den Geruch von Benzin, hassen den Gestank von Bleiche, und beide wünschen wir uns, wir wüssten, wie man eine richtig schöne Kuchenglasur macht. Wir trinken beide lieber Weiß- als Rotwein und ziehen extreme Kälte extremer Hitze vor. Und beide haben wir kein Problem damit, aufs Herrenklo zu gehen, wenn die Schlange vor der Damentoilette zu lang ist.
    Morgen ist Zoes zehnter Hochzeitstag, und ich weiß, dass sie sich davor fürchtet. Zoes Mom, Dara, ist das Wochenende über in San Diego auf einer Konferenz von Lebensberatern. Deshalb habe ich Zoe vorgeschlagen, dass wir etwas unternehmen sollten, was Max in einer Million Jahren nicht getan hätte. Sofort suchte Zoe sich ein Ballett im Wang Theatre in Boston aus. Es gab Romeo und Julia von Prokofjew. Max, erzählte sie mir, hatte klassischen Tanz noch nie ausstehen können. Wenn er nicht gerade spöttische Bemerkungen über die Strumpfhosen der Männer gemacht hatte, war er im Theater in einen tiefen, festen Schlaf gefallen.
    »Vielleicht sollte ich das ja auch tun«, sinniert Rajasi. »Vielleicht sollte ich diesen Idioten, den meine Eltern haben einfliegen lassen, zu etwas mitnehmen, was er zutiefst verabscheut.« Sie schaut nach oben. »Was würde ein Brahmane wohl mehr hassen als alles andere?«
    »Ein All-You-Can-Eat-Barbecue?«, schlage ich vor.
    »Ein Heavy-Metal-Konzert.«
    Wir schauen einander an. »NASCAR«, sagen wir im Chor.
    »Jetzt muss ich aber gehen«, sage ich. »In fünfzehn Minuten soll ich Zoe abholen.«
    Rajasi dreht den Frisierstuhl zum Spiegel um und zuckt unwillkürlich zusammen.
    Und wenn eine Friseurin zusammenzuckt, dann ist das nie ein gutes Zeichen. Mein Haar ist so kurz, dass es aussieht, als wüchsen kleine Grasbüschel auf meinem Kopf. Rajasi öffnet den Mund, und ich funkele sie an. »Sag mir jetzt nicht, das wächst wieder nach …«
    »Eigentlich wollte ich sagen, dass Militärlook zum Glück in diesem Jahr in ist …«
    Ich fahre mir mit der Hand durchs Haar und versuche, es ein wenig zu zerzausen – es gelingt mir nicht. »Ich würde dich ja umbringen«, sage ich, »aber ich denke, wenn du dich mit diesem alten Punjabi treffen musst, leidest du noch ein wenig mehr.«
    »Siehst du? Allmählich gefällt dir der Look sogar. Ansonsten würdest du wohl keine Scherze machen können, so wie du weinen müsstest.« Sie nimmt das Geld, das ich ihr gebe. »Pass beim Fahren auf«, warnt Rajasi mich. »Es beginnt bereits zu schneien.«
    »Das ist nur Puderzucker«, erwidere ich und winke ihr zum Abschied. »Mach dir keine Sorgen.«
    Wie sich herausstellt, haben Zoe und ich noch eine Sache gemeinsam: Romeo und Julia . »Das war schon immer mein Lieblingsstück von Shakespeare«,

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