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Ein Lied für meine Tochter

Ein Lied für meine Tochter

Titel: Ein Lied für meine Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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andere ist als die, in der man Matthew Shepard ermordet hat, aber zwischen Toleranz und Akzeptanz besteht ein subtiler Unterschied. Es ist die Kluft zwischen der Einladung von dir und deiner gleichgeschlechtlichen Partnerin zu einer Collegehochzeit und dem Flüstern der anderen Gäste, wenn du eng umschlungen mit ihr tanzt.
    Meine Mutter hat mir mal erzählt, wie die Nonnen in der katholischen Mädchenschule, auf die sie gegangen ist, sie immer auf die linke Hand geschlagen haben, wenn sie damit ein Wort geschrieben hat. Würde ein Lehrer das heutzutage tun, würde man ihn vermutlich wegen Kindesmisshandlung verhaften. Die Optimistin in mir glaubt, dass es mit der Sexualität eines Tages genauso sein wird wie mit der Handschrift: Es gibt kein Richtig oder Falsch. Wir sind eben einfach alle verschieden.
    Wenn man jemanden kennenlernt, fragt man ihn ja auch nicht, ob er Rechts- oder Linkshänder ist.
    Schließlich hat das ja auch niemanden zu interessieren außer der Person, die den Stift hält … oder?
    Die längste Beziehung, die ich je gehabt habe, hatte ich mit Rajasi, meiner Friseurin. Alle vier Wochen gehe ich zu ihr, um mir den Haaransatz blond färben und mein Haar zottelig kurz schneiden zu lassen. Doch heute ist Rajasi außer sich vor Wut und beendet jeden Satz mit einem zornigen Schnipp-Schnapp der Schere. »Äh …«, sage ich, kneife die Augen zusammen und schaue in den Spiegel. »Ist das nicht ein wenig kurz?«
    »Eine arrangierte Ehe!«, ruft Rajasi. »Ist das zu glauben? Wir sind vor zwanzig Jahren aus Indien gekommen. Wir sind so amerikanisch, amerikanischer geht es gar nicht mehr. Meine Eltern essen einmal die Woche bei McDonald’s, um Himmels willen!«
    »Wenn du ihnen vielleicht sagen würdest …«
    Ein Haarbüschel fliegt an meinen Augen vorbei. »Sie haben meinen Freund letzten Freitag zum Abendessen eingeladen«, schnaubt Rajasi. »Glauben sie wirklich, dass ich den Typen, mit dem ich schon seit drei Jahren gehe, einfach so fallen lasse, nur weil irgend so ein alter Sack aus dem Punjab mir einen Haufen Hühner als Brautgeschenk anbietet?«
    »Hühner?«, hake ich nach. »Wirklich?«
    »Ich weiß es nicht. Aber das ist auch nicht der Punkt.« Sie ist so in ihre Tirade vertieft, dass sie einfach weiterschneidet. »Wir haben doch 2011, oder?«, sagt Rajasi. »Da sollte ich ja wohl heiraten dürfen, wen ich will.«
    »Liebes«, erwidere ich, »bei mir rennst du da offene Türen ein.«
    Ich lebe in Rhode Island, einem der wenigen Staaten in New England, in dem gleichgeschlechtliche Ehen nicht anerkannt sind. Aus diesem Grund gehen Paare, die sich trauen lassen wollen, über die Grenze nach Fall River, Massachusetts. Das hört sich einfach an, schafft aber jede Menge Probleme. Ich habe zwei Freunde, zwei Schwule, die in Massachusetts geheiratet haben, und dann, fünf Jahre später, haben sie sich wieder getrennt. Ihr ganzer Besitz befand sich in Rhode Island, denn da haben sie gewohnt. Aber weil ihre Ehe in diesem Staat nicht legal war, konnten sie sich auch nicht wirklich scheiden lassen.
    Rajasi hält inne. »Und?«, hakt sie nach.
    »Und was?«
    »Ich plappere hier munter über mein Liebesleben, und du hast nicht ein Wort über deins verloren …«
    Ich lache. »Rajasi, im Augenblick hätte ich die besseren Chancen bei deinem Punjabi. Meine romantische Ader ist mehr oder weniger ausgetrocknet.«
    »Du klingst, als wärst du schon sechzig«, sagt Rajasi. »Als würdest du das ganze Wochenende daheim sitzen und mit hundert Katzen häkeln.«
    »Quatsch! Katzen können besser sticken. Außerdem habe ich große Pläne fürs Wochenende. Ich fahre nach Boston und schaue mir eine Ballettaufführung an.«
    »Soll es nicht schneien?«
    »Nicht so viel, dass wir uns davon aufhalten lassen würden«, entgegne ich.
    »Wir?« , wiederholt Rajasi. »Los. Erzähl.«
    »Sie ist nur eine Freundin. Wir feiern ihren Jahrestag.«
    »Ohne ihren Mann?«
    »Sie ist geschieden«, erkläre ich. »Ich versuche, ihr durch eine harte Zeit zu helfen.«
    In den Wochen nach unserem Aufeinandertreffen im YMCA waren Zoe und ich ziemlich gute Freundinnen geworden. Ich habe sie wohl zuerst angerufen, schließlich hatte ich ihre Privatnummer. Ich wollte ein Bild abholen, das ich in ihrer Nähe zum Rahmen gegeben hatte. Ob sie Lust hätte, anschließend mit mir zu Mittag zu essen? Bei Sandwiches sprachen wir über ihre Forschung zum Thema Musiktherapie und Depressionen, und ich erzählte ihr, wie ich Lucys Eltern das Thema

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