Ein Lied für meine Tochter
aktiv. Trotzdem sind mein damaliger Freund und ich in einen Greyhound gestiegen und nach Laramie gefahren, um vor der Universität an einer Mahnwache für den Ermordeten teilzunehmen. Und in diesem Augenblick, als ich von all den Lichtern umgeben war, konnte ich mir endlich eingestehen, wovor ich mich bis dahin gefürchtet hatte: Es hätte auch mich treffen können, denn auch ich war homosexuell und war es immer schon gewesen.
Und jetzt kommt das Erstaunliche: Auch nachdem ich es laut ausgesprochen hatte, hörte die Welt nicht auf, sich zu drehen.
Ich war noch immer eine Collegestudentin mit Pädagogik als Hauptfach und einem Notendurchschnitt von nur 3,8. Ich wog noch immer 121 Pfund, mochte Schokolade lieber als Vanille und sang in einer A-cappella-Gruppe mit dem Namen ›Son of a Pitch‹. Ich schwamm zweimal die Woche im Schulschwimmbad, und ich sah mir immer noch lieber eine Folge Cheers an, als mich bei einer Verbindungsparty zu besaufen. Dadurch, dass ich eingestand, lesbisch zu sein, änderte sich nichts daran, wer ich war und wer ich sein würde.
Ein Teil von mir fürchtete, dass ich in keines der beiden Lager gehören könnte. Ich war nie wirklich mit einer Frau zusammen gewesen, und ich hatte Angst, dass das genauso langweilig sein würde wie mit einem Mann. Was, wenn ich nicht wirklich lesbisch war, sondern schlicht asexuell? Außerdem gab es da noch etwas in dieser neuen Gesellschaft, dieser neuen Welt, das ich nicht bedacht hatte: die selbstverständliche Annahme, dass jede Frau, die man trifft, heterosexuell ist … außer man ist auf einem Konzert der Indigo Girls oder bei einem Basketballspiel der WNBA. Es ist ja nicht so, als würden bestimmte Mädchen mit einem großen L auf der Stirn herumlaufen, und mein Lesbenradar war damals noch deutlich unterentwickelt.
Rückblickend hätte ich mir jedoch keine Sorgen machen müssen. Meine Laborpartnerin in Biochemie lud mich zum Lernen in ihr Zimmer im Studentenwohnheim ein, und es dauerte nicht lange, da verbrachten wir unsere gesamte Freizeit miteinander. Wenn ich nicht mit ihr zusammen war, dann wollte ich es sein. Wenn ein Professor etwas Lächerliches, Sexistisches oder Lustiges sagte, dann war sie die Erste, der ich es erzählen wollte. Eines Samstags, bei einem Footballspiel, zitterten wir gemeinsam auf der Tribüne unter einer karierten Wolldecke und tranken heißen Kakao mit Baileys aus einer Thermoskanne. Das Spiel stand auf Messers Schneide, und beim wirklich wichtigen vierten Touchdown nahm sie meine Hand und ließ sie nicht mehr los. Als sie mich zum ersten Mal küsste, glaubte ich wirklich, ich hätte ein Aneurysma. Das Blut dröhnte förmlich in meinen Ohren, und meine Sinne explodierten. Das ist es , erinnere ich mich gedacht zu haben. Es war der einzige Gedanke, zu dem ich in diesem Meer der Gefühle noch fähig war.
Irgendwann war ich dann wieder vollkommen klar und erkannte rückblickend, dass ich nie irgendwelche Grenzen mit meinen weiblichen Freunden gekannt hatte. Ich wollte ihre Babybilder sehen, mir ihre Lieblingslieder anhören und mein Haar auf die gleiche Art frisieren wie sie. Wenn ich den Hörer auflegte, fiel mir stets noch eine Sache ein, die ich der jeweiligen Freundin unbedingt noch sagen musste. Ich würde das nicht als körperliche Anziehung definieren, es war mehr eine emotionale Bindung. Ich konnte nie genug von meinen Freundinnen bekommen, doch habe ich nie gewagt, mich zu fragen, was dieses ›nie genug‹ zu bedeuten hatte.
Glauben Sie mir: Homosexualität ist nichts, was man sich aussucht. Niemand würde sich das Leben freiwillig härter machen, als es ohnehin schon ist, und egal wie selbstbewusst und mit sich im Reinen ein homosexueller Mensch auch sein mag, er oder sie hat keine Kontrolle über die Gedanken anderer. Ich habe erlebt, wie Leute im Kino meine Reihe verlassen haben, weil sie gesehen haben, wie ich mit einer Frau Händchen hielt. Offensichtlich waren sie von dieser schlichten Geste der Zuneigung angewidert. Dass sich nur eine Reihe hinter uns zwei Teenager förmlich die Kleider vom Leibe rissen, schien sie jedoch nicht zu kümmern. Einmal hat man mir das Wort LESBE auf den Wagen gesprüht, und einige Eltern haben beantragt, dass ihre Kinder von einem anderen Schulpsychologen betreut werden. Wenn man diese Eltern dann nach dem Grund dafür fragte, gaben sie stets an, dass meine ›pädagogische Einstellung‹ der ihren widerspreche.
Sie können natürlich argumentieren, dass die Welt heute eine
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