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Ein Lied über der Stadt

Ein Lied über der Stadt

Titel: Ein Lied über der Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ewald Arenz
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weil die Fabrikgebäude so eng beieinanderstanden und viel höher als die Bürgerhäuser waren, auch wenn manche der verrußten Scheiben von der Werksbeleuchtung erhellt wurden.
    Luise war da. Zwischen dem neuen Brauereigebäude und einer kleinen Möbelfabrik lag eine Werkstatt, der man noch ansah, dass sie einmal eine Scheune gewesen war, bevor die Gebäude um sie herum gebaut worden waren. Es gab keine Rolltore wie an den anderen Fabriken, sondern noch immer ein großes Scheunentor mit zwei Flügeln und einer kleinen Tür daneben. Durch den Spalt zwischen Tor und Pflaster fiel ein Streifen Licht. Luise atmete auf. Er war da! Sie konnten sich nicht immer verabreden, und manchmal hatte sie schon vor der dunklen Werkstatt gestanden und war nach einer halben Stunde ungeduldigen Wartens enttäuscht wieder nach Hause gegangen. Meistens schlief sie dann schlechter, als wenn sie, so wie sonst, erst am frühen Morgen heimkam. Sie klinkte die Tür auf und trat in die Halle. Sofort war da der vertraute Geruch von Eisen und Schmieröl und Holz. Georg in seiner blauen Schmiedsschürze, dunkle Schmutzstreifen im Gesicht unter der ebenso blauen Leinenmütze, sah mit seinem jungenhaften Lächeln auf zu ihr, dann wischte er sich mit dem Handrücken über die Stirn. Über der Werkbank brannte eine nackte Glühbirne.
    »Weißt du was?«, fragte er sie statt einer Begrüßung vergnügt, als habe er ein Geschenk für sie.
    »Was?«, fragte Luise und kam näher. Georg hatte eines der Gestellrohre in den Schraubstock gespannt und war dabei, es im richtigen Winkel abzusägen. Als sie bei ihm stand, roch sie das heiß gewordene Öl, das er auf die Säge gab. Jetzt legte er sie beiseite und ging zur Tür des Lagerraums.
    »Rate«, sagte er, und Luise musste lachen, weil er sich so freute, sie überraschen zu können. Sie hatte eine Vermutung, aber sie wollte ihm den Spaß nicht verderben. Sie hob die Hände in einer Geste des Nichtwissens.
    »Ich habe keine Ahnung, sag schon, komm!«
    »Du musst die Augen zumachen«, bestimmte Georg, bevor er die Tür zum Lagerraum öffnete, sie an der Hand nahm und hineinzog. Luise musste wieder lachen. Das mochte sie an Georg. Er konnte sich ganz und gar für eine Sache begeistern; so sehr, dass es schien, als gäbe es nichts Wichtigeres für ihn als nur dieses eine. So hatten sie sich kennengelernt – weil sie beide so waren.
    »Darf ich jetzt?«, fragte Luise gespannt.
    »Jetzt darfst du«, antwortete Georg stolz.
    Luise öffnete die Augen und sah zwei große Ballen auf dem Boden vor sich liegen.
    »Nein!«, sagte sie überrascht.
    »Doch«, sagte Georg, und man hörte seiner Stimme an, wie er sich freute, »der Stoff ist gekommen.«
    Luise trat vor und riss das braune Ölpapier auf, mit dem die Ballen umwickelt waren.
    »Endlich«, flüsterte sie.
    »Ja«, antwortete Georg, »jetzt wird’s langsam. Ich bin auch schon fast mit dem Fahrgestell fertig.«
    »Georg«, sagte Luise, als sie sich endlich von dem feinen weißen Leinenstoff lösen konnte, der da säuberlich auf zwei Rollen gewickelt vor ihr lag, »du bist der Beste.«
    »Weiß ich doch«, antwortete Georg fröhlich, »und jetzt musst du mal Mädchenarbeit machen. Wird auch Zeit. Und wird dir gut tun«, fügte er in sanftem Spott hinzu, »ich hab die alte Nähmaschine von meiner Oma geholt.«
    Luise war zur Werkbank gegangen und befühlte die Schnittkante am Rohr. Noch war sie rau, aber ihre Finger mochten das. Eine plötzliche Angst vor der eigenen Courage kam sie an.
    »Meinst du, wir schaffen das wirklich, Georg?«, fragte sie, ohne zu ihm hinüberzusehen.
    Georg kam von hinten an sie heran. Eigentlich fassten sie sich nie an, aber diesmal legte er ganz leicht und nur sehr kurz die Hand auf ihren Rücken.
    »Wir packen das«, sagte er mit dieser unbekümmerten Zuversicht, die er anscheinend nie verlor, »wir schon.«
    Luise holte tief Luft und streckte sich.
    »Dann will ich mal mit dem Zuschneiden anfangen«, sagte sie und spürte, wie die Freude am Abenteuer wieder in ihr aufstieg.
    Georg, der Schmied, und Luise, die Pfarrerstochter, hatten sich gefunden, um zusammen ein Flugzeug zu bauen.

3

    Georg und Luise kannten sich eigentlich, seit sie zwölf und er siebzehn Jahre alt war. In Luises Familie gab es vielleicht so etwas wie eine Tradition des Freiheitsdrangs. Schon Luises Vater war in seiner Jugend ein Wandervogel gewesen – einer der ersten – und auch ihr Bruder war in die bündische Jugend gegangen. Frei umherziehen, ohne Regeln,

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