Ein Lord zu Tulivar (German Edition)
nicht nur deswegen, weil Euer Kommen unausweichlich war, seitdem ich durch einen Boten die Ernennungsurkunde des Imperators erhalten habe, sondern auch, weil ich sehr darauf gehofft habe, dass mir jemand die Last Tulivar abnimmt. Ich bin seit meiner Jugend Sachwalter der Baronie, und diese Arbeit habe ich niemals genossen.«
Ich stopfte mir eine kalte Hähnchenkeule in den Mund.
Meiner Aussprache tat dies nicht gut, aber da dem Grafen das Bier den dünnen Bart entlangtropfte, vermutete ich, dass das kein Problem war.
»Tulivar ist ein problematischer Landstrich?«
Der Graf zu Bell wischte sich über den Mund und sah mich direkt an. In seinen Augen stand so gar keine Müdigkeit, als er antwortete.
»Baron, ich darf offen sprechen. Daran müsst Ihr Euch ohnehin gewöhnen, denn das ist hier üblich, weitab vom Hofe und der feinen Gesellschaft.«
Ich grinste. »In den letzten zwölf Jahren bestand meine feine Gesellschaft aus Männern mit Schwertern, aber ohne Manieren – sowie aus Männern mit Schwertern, die mich umbringen wollten. Ich werde an klarer Sprache keinen Anstoß nehmen.«
»Wunderbar. Baron, man hat Euch ganz gründlich verarscht.«
Ich nickte und nahm einen Schluck Wein. Einfacher Landwein, aber nicht mit Pferdepisse gestreckt. Mir mundete er.
»Ich weiß, Graf. Ich sollte ein Herzog werden.«
»Mir ist zu Ohren gekommen, Ihr habt das Leben des Kronprinzen gerettet.«
»Des damaligen Kronprinzen, ja. Ich konnte nicht verhindern, dass er sich anschließend bei einer Hure die Syphilis holte und jämmerlich verreckte.«
Der Graf lächelte nachsichtig. »Und dennoch …«
»… wurde ich verarscht. Ich hatte mir den Adel verdient, das wusste jeder, bloß war ich zu talentiert und fähig, um mich in der Nähe des Imperators zu lassen. Der Kronrat musste sein Gesicht wahren und mich gleichzeitig aus dem Weg räumen.«
Graf von Bell rülpste. »Man hätte Euch besser umbringen sollen. Ist das nicht die bevorzugte Lösung bei Hofe?«
»Wer sagt Euch, dass man es nicht versucht hat?« Ich grinste immer noch.
»Wie oft?«
»Dreimal. Dann musste man etwas tun, denn die Wartezeit bis zu meiner Ernennung zu … irgendwas … zog sich zu sehr in die Länge.«
»Also Tulivar.«
»Das Zweitbeste nach dem Tod.«
»Seid Euch nicht so sicher.«
Ich stellte meinen Weinkelch ab und tupfte mir mit dem Ärmel den Mund ab. Ein wenig wollte ich als Mann von Adel doch auf die Etikette achten.
»Ihr seid der Herr von Tulivar«, stellte der Graf fest. »Ich selbst bin nur ein einziges Mal dort gewesen und es ist kein Besuch, an den ich mit Freude zurückdenke.«
»So schlimm war der Empfang?«
Der Graf zuckte mit den Achseln. »Es gab keinen Empfang. Baronie Tulivar besteht aus drei Dörfern: Felsdom, ganz im Norden, direkt am Gebirge. Tulivar selbst, die, nun ja, Hauptstadt. Sollte wohl mal eine Stadt werden, hat es in den vergangenen hundert Jahren aber nie so richtig hinbekommen. Und dann wäre da Floßheim, direkt am Fluss Wul, der die Grenze zwischen Eurem und meinem Gebiet darstellt. Gerüchteweise verirrt sich sogar hin und wieder mal ein Reisender bis dahin. Aber das sind wirklich nur Gerüchte.«
»Das ist alles? Drei Dörfer?«
Der Graf nickte. »Bewohnt mit eher grantigen und geistig etwas zurückgebliebenen Zeitgenossen, bettelarm dazu. Ich habe, glaube ich, zweimal versucht, dort Steuern einzutreiben. Meine Männer haben mehr für das Futter ihrer Pferde bezahlt, als sie in barer Münze eingetrieben haben. Und die Naturalabgaben haben sie unterwegs als Wegzehrung verspeist. Das Einzige, was ich erfolgreich eingetrieben habe, waren Rekruten für den Krieg. Ich hoffe, Ihr seid furchtbar reich, mein Baron.«
Ich schürzte die Lippen und dachte an meine Karren. »Es geht so.«
»Ihr werdet jedes Kupferstück bitter nötig haben.«
»Wer verwaltet das Land in Eurer Abwesenheit?«, fragte ich.
»Es gibt einen Kastellan in Tulivar, den alten Frederick. Er ist so etwas wie mein Repräsentant.«
»Ein Kastellan? Es gibt also eine Burg?«
Graf zu Bell lachte meckernd und ließ sich Wein eingießen. »Einen alten, baufälligen Turm. Sollte wohl mal eine Burg werden, hat es in …«
»… den vergangenen hundert Jahren aber nie so richtig hinbekommen, ja, ich verstehe.« Meine Laune war durch die Schilderungen des Grafen nicht besser geworden. Ich wollte jetzt auch mehr Wein haben und winkte dem Diener, der mir beflissen einschenkte.
Der Graf sah mich wissend an und lächelte. »Wein trinkt man da
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