Ein Lord zu Tulivar (German Edition)
passieren Schiffe die Brücke?«
»Ich binde sie los. Wenn die Schiffe durch sind, hole ich das Seil wieder ein und binde sie an.«
»Und das passiert wie oft?«
»Na ja … nicht oft.«
»Wie oft?«, beharrte ich.
»Ein- oder zweimal im Monat.«
Ich wandte mich ab. Meine Männer waren derweil alle abgestiegen und hatten den fruchtbaren Austausch mit dem Brückenwärter mit großem Interesse verfolgt. Selur und Woldan grinsten breit und freuten sich, dass die Bürde der Führung auf meinen Schultern lag und nicht auf den ihren.
»Diese Brücke ist lebensgefährlich!«, bequemte sich Woldan schließlich zu einem Kommentar. »Ich traue ihr nicht.«
»Sie wird offenbar nicht viel genutzt«, meinte ich nachdenklich. »Viele Reisende in beide Richtungen wird es nicht geben.«
»Das hört sich nicht gut an. Ich wusste, dass Tulivar wirklich am Rande der Welt liegt, aber bei den Göttern, es muss ein dermaßen abgelegener Ort sein … Mich schüttelt es!« Selur wirkte aufrichtig erschüttert. Er war am ehesten derjenige von uns, der die Annehmlichkeiten des imperialen Hofes genossen hatte – inklusive jener, die er gar nicht hätte genießen dürfen. Ich warf ihm einen strafenden Blick zu. Solche Kommentare halfen mir jetzt nicht weiter.
»Wie bekommen wir die Karren hinüber?«, fragte Woldan und sah den Brückenwärter misstrauisch an, der den seltsamen Reisenden offenbar auch nicht über den Weg traute, soweit man dessen Gesichtsausdruck entnehmen konnte.
»Das ist das eine Problem«, murmelte ich. »Das andere Problem lautet: Wie bekommt überhaupt jemand etwas nach Tulivar?«
Selur nickte. »Jeder fahrende Händler muss über den Fluss. Tulivar hat keinen Seehafen. Und dies ist die einzige Brücke. Wenn es keine Fähre gibt, dann muss man eines der großen Flussschiffe aus Plum nehmen, was einen riesigen Umweg bedeutet und vor allem eine höchst unberechenbare Anbindung. Tulivar hat nichts zu verkaufen.«
»Tulivar hat nichts zu verkaufen, weil niemand etwas heraus- oder hineinbringen kann«, widersprach ich. Selur machte ein nachdenkliches Gesicht.
»Hauptmann«, sagte er dann, »ich erinnere mich an die Mission vor Eltheim, im Sommer vor zwei Jahren.«
»Der Vorstoß über den Flask?«
»Genau der.«
»Ich ahne, was du meinst.«
Woldan stöhnte. »Es hat uns drei Tage gekostet sowie aufgerissene Hände, furchtbaren Muskelkater und mir eine böse Fleischwunde am Arm eingebracht.«
Ich lächelte ihn an. »Du warst nie gut mit der Axt.«
Der massige Bogenschütze erwiderte meinen Blick und lächelte zurück. »Ich habe die Axt aber noch, Hauptmann.«
»Und wir waren damals nur unwesentlich mehr als 40 Mann«, ergänzte Selur.
»Du warst dabei«, meinte Woldan. »Also 39 Mann und eine Schwuchtel.«
Selur grinste. »Ich habe keine Fleischwunde davongetragen, mein großer Freund.«
»Tatsächlich hat uns Selur genau gezeigt, wie wir in kürzester Zeit eine stabile Holzbrücke konstruieren können«, meinte ich.
»Kurz?«, echote Woldan. »Wir haben drei Tage und Nächte durchgeschuftet! Wie die Tiere!«
»Wie echte Männer«, spottete Selur. »Mit echten Fleischwunden!«
Der Bogenschütze warf einen anklagenden Blick gen Himmel.
»Wir würden mehrere Ziele gleichzeitig erreichen«, meinte ich, als die erhoffte Reaktion der Götter ausblieb. »Wir kämen über den Fluss. Wir hätten einen festen Zugang nach Tulivar geschaffen. Und wir hätten ein Zeichen gesetzt.«
»Tolles Zeichen«, murmelte Woldan. »Ich dachte, ich bin im Ruhestand.«
»Ich arbeite dein Pensum mit«, bot sich Selur an. »Ich will nicht, dass alte Männer sich verletzen!«
»Ich hole meine Axt.«
Die Begeisterung der Männer war nicht groß, andererseits waren sie schnell davon überzeugt, dass ich die richtige Entscheidung getroffen hatte. Außerdem war allen klar, dass Selur genau wusste, wie man eine Brücke baute – das damals über den Flask errichtete Bauwerk stand immer noch – und man daher kein großes Risiko einging.
Ich trat auf den Brückenwärter zu.
»Wir werden die Brücke für eine Weile besetzen. Als Arbeitsplattform.«
»Eh … was?«
»Wir werden eine Holzbrücke bauen. Eine richtige.«
»Das ist … das darf …«
»Ich bin der Herr von Tulivar.«
»Aber diese Seite des Flusses gehört dem Grafen zu Bell.«
»Er wird es verschmerzen, dass ich ihm eine neue Brücke baue.«
»Aber das Holz …«
»Die Bewohner von Goviar werden mir helfen.«
»Sie müssen Euren Befehlen nicht
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