Ein Lotterielos. Nr. 9672
daraus einen sorgfältig schön geschriebenen Brief und
las wie folgt:
Saint-Pierre Miquelon
15. März 1862
Meine liebste Hulda!
Du wirst mit Vergnügen hören, daß wir einen glück-
lichen Fischfang gehabt haben und ihn binnen wenigen Ta-
gen schließen. Ja, endlich nahen wir uns dem Ende dieser
Kampagne! Wie werde ich nach einjähriger Abwesenheit
glücklich sein, nach Dal zurückzukehren und die einzige
Familie wiederzufinden, die mir noch geblieben und wel-
che die Deinige ist.
Mein Gewinnanteil ist recht beträchtlich und wird für
uns zur ersten Einrichtung ausreichen. Die Herren Gebrü-
der Help Söhne, unsere Reeder in Bergen, sind schon be-
nachrichtigt, daß die ›Viken‹ voraussichtlich zwischen dem
15. und dem 20. Mai zurück sein wird. Du kannst also da-
mit rechnen, mich etwa zu dieser Zeit, das heißt höchstens
nach einigen Wochen, zu sehen.
Teure Hulda, ich hoffe, Dich ebenso wie bei meiner Ab-
reise und ebenso wie Deine Mutter bei bester Gesundheit
wiederzufinden. Munter und frisch auch den mutigen und
entschlossenen Kameraden, meinen Vetter Joel, Deinen
Bruder, der sich nichts Besseres wünscht, als auch der mei-
nige zu werden.
Beim Empfang des Gegenwärtigen grüße mir auch herz-
— 15 —
lich Frau Hansen, die ich von hier aus in ihrem Holzlehn-
stuhl nah dem Ofen in der großen Stube deutlich vor mir
sehe. Versichere ihr, daß ich sie zweimal lieb habe, einmal
weil sie Deine Mutter und dann weil sie meine Tante ist.
Jedenfalls bemühe Dich nicht damit, mir nach Bergen
entgegenkommen zu wollen. Es wäre möglich, daß die ›Vi-
ken‹ noch eher einträfe, als ich annehme. Doch wie dem
auch sei, teuerste Hulda, sicher kannst Du damit rechnen,
mich 24 Stunden nach unserer Landung in Dal zu finden,
nur erschrick nicht, wenn ich noch frühzeitiger ankomme.
Wir sind durch das rauhe Wetter dieses Winters tüchtig
umhergeworfen worden; ja, es war so schlecht, wie unsere
Seeleute es noch kaum erlebt haben. Zum Glück lieferte we-
nigstens der Kabeljau an der großen Bank einen ausgezeich-
neten Ertrag. Die ›Viken‹ bringt davon 500 Zentner mit, die
in Bergen abzuliefern und durch die Bemühung der Herren
Help Söhne schon verkauft sind.
Mit einem Wort, das wird euch beide ja am meisten in-
teressieren, wir haben einen guten Fang gemacht, und der
Ertrag wird auch für mich, der ich jetzt einen ganzen Anteil
beziehe, recht gut sein. Bringe ich nun auch nicht gerade
Reichtümer mit nach Hause, so hab’ ich doch den Gedan-
ken, ja eine Art Vorgefühl, daß mich diese bei der Rückkehr
erwarten. Ja, Reichtümer . . . ohne das Glück zu erwähnen!
Wie? Das ist mein Geheimnis, liebste Hulda, und Du wirst
mir schon verzeihen, ein Geheimnis für mich zu behalten.
Es ist ja das einzige, und ich werde es auch Dir noch offen-
baren . . . Wann? Nun, sobald die Zeit dazu gekommen ist –
— 16 —
vor unserer Hochzeit, wenn diese durch einen unvorherge-
sehenen Umstand verzögert werden sollte – danach, wenn
ich zur angegebenen Zeit eintreffe und wenn Du in der Wo-
che nach meiner Rückkehr nach Dal meine herzige Frau ge-
worden bist, wie ich das ja von ganzer Seele wünsche.
Ich umarme Dich, meine Hulda, und bitte Dich, an mei-
ner Statt Frau Hansen und meinen Vetter Joel zu umarmen.
Ich küsse im Geist Deine Stirn, der die strahlende Krone der
Neuvermählten von Telemarken wie ein Heiligenschein ste-
hen wird. Zum letzten Mal, lebe wohl, meine teure Hulda,
lebe wohl!
Für immer Dein
Ole Kamp
II.
Dal besteht nur aus wenigen Häusern, von denen die einen
längs einer Straße stehen, die eigentlich nur den Namen ei-
nes Fußwegs verdient, und die anderen auf benachbarten
Anhöhen zerstreut liegen. Sie wenden die vordere Seite dem
Vestfjorddal, den Rücken den Bergen im Norden zu, an de-
ren Fuß hin der Maan verläuft. Alle Gebäude zusammen
würden etwa einen der im Land sehr häufigen »Gaards« bil-
den, wenn sie von einem einzigen Feldeigentümer oder ei-
nem Zinspächter verwaltet würden. Doch wenn nicht den
Namen eines Fleckens, so beanspruchen sie doch mit Recht
den eines Weilers. Eine kleine, 1855 erbaute Kapelle, deren
— 17 —
Chorhaube durch zwei schmale Glasfenster unterbrochen
wird, erhebt in der Nähe durch das Baumgewirr ihren vier-
seitigen Glockenturm – alles in Holz. Da und dort sind über
die Bäche, die dem Fluß zueilen, einige kreuzförmig gezim-
merte Brückchen geschlagen, deren
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