Ein Lottogewinn und 8 Millionen andere Probleme
dann mal. Tschüss, Lia.«
Ich sah ihm nach, bis er zur Tür raus war. Dann sagte ich: »Herzlichen Dank, Jack! Seit Raf an unserer Schule ist, versuche ich, an ihn ranzukommen, und jetzt musst du so eklig sein und ihn vertreiben!«
»Ich?« Jack schlang die letzte Scheibe Frühstücksspeck runter. Bevor wir in einem Sechs-Sterne-Hotel eincheckten, musste ich ihm unbedingt Tischmanieren beibringen.
»Vergiss es, Lia. Der Typ ist so was von schwul.«
»Gar nicht!«
»Klar. Das sieht ein Blinder.«
»Du hast bloß was gegen Schwule.«
»Du stehst also trotzdem auf ihn!«
»Das geht dich nichts an.«
»Na schön. Hauptsache, er fährt nicht mit uns in Urlaub. Ich muss jetzt auch los. Danke fürs Frühstück.«
Jack gab mir einen eiverschmierten Kuss auf die Wange und ging. Ich fragte am Tresen nach der Rechnung, die sich auf 15,75 Pfund belief (seit der Einführung der gepunkteten Tischtücher war alles teurer), und holte mein Portemonnaie raus.
Es war leer.
Multimillionärin hin oder her – ich war noch genauso pleite wie gestern Abend.
6
Fällt es dir leicht, Entscheidungen zu treffen?
Wenn nicht, solltest du es
so schnell wie möglich lernen.
»Die wichtigste Frage«, sagte Gilda, »ist jetzt die, ob du deinen Gewinn öffentlich machen willst.«
Gilda war meine Gewinnbetreuerin. Sie war ungefähr so alt wie Mum, aber rundlicher, und hatte ein sehr nettes Lächeln. Und sie überbrachte mir acht Millionen Pfund. Ich mochte sie auf Anhieb.
Allerdings wunderte ich mich doch ein bisschen über das, was sie sagte. War es nicht viel wichtiger, wie ich meiner lieben Familie klarmachte, dass das Geld mir gehörte? Mir ganz allein! Mindestens genauso wichtig war die Frage, wie es mit Raf weitergehen sollte. Der Anfang war durchaus vielversprechend gewesen. Hoffentlich hatte Jack nicht alles vermasselt! Ich musste unbedingt mit Raf sprechen.
Weitere äußerst wichtige Fragen waren: Wann konnte ich unser hässliches Reihenhaus endlich verlassen und in eine eigene Luxuswohnung ziehen? Sollte ich die Schule jetzt gleich abbrechen? War die Lederjacke vom Flohmarkt schon weg? Sollte ich mir Strähnchen machen lassen oder meine nervigen Locken dauerhaft glätten lassen? Letzteres gehörte vielleicht nicht zu den allerwichtigsten Fragen, aber Natasha und ich hattenam Vormittag eine Dreiviertelstunde darüber diskutiert – in einer SMS-Konferenz mit Shaz, die bei ihrer Granny in Wembley war.
Die unvermeidlichen Formalitäten hatten wir schon erledigt: Ich hatte Gilda den Lottoschein und meine Geburtsurkunde überreicht und sie hatte alles überprüft, eingescannt und an die Zentrale der Lottogesellschaft gemailt.
Mein persönlicher Bankberater traf ein (»Wollen wir uns nicht duzen? Ich heiße Kevin.«). Er war groß, schlank, jünger als Dad und erinnerte mich an Daniel Craig. Mum und ich gaben uns große Mühe, einen guten Eindruck auf ihn zu machen. Kevin überreichte mir ein Scheckheft, die Kontounterlagen sowie eine Bankkarte.
Dann drückte Gilda ein paar Tasten auf ihrem Laptop und pling! – nein, leider war das Geld immer noch nicht auf meinem Konto, sondern erst in ungefähr achtundvierzig Stunden. (Wieso eigentlich?) Aber die acht Millionen waren unterwegs.
Ich fühlte mich eigentlich wie immer, aber gleichzeitig auch ganz anders. Ich war eine sechzehnjährige Schülerin und zugleich Multimillionärin. Ich konnte mir die ganze Welt kaufen und überall hinreisen, aber ich musste trotzdem für die Geschichtsklausur lernen. Es hätte mich nicht gewundert, wenn ich plötzlich festgestellt hätte, dass ich fliegen konnte. Nichts war mehr unmöglich, so kam es mir vor.
»Tja, Lia«, sagte Dad, »jetzt brauchst du nie mehr in die Bäckerei gerannt kommen und mich anbetteln, weil du im Café deine Rechnung nicht zahlen kannst.«Dad sah immer noch schlecht aus. Er war blass und hatte Schweißtropfen auf der Oberlippe.
»Ha-ha«, sagte ich.
»Jetzt klauen wir dir die Zehner aus dem Portemonnaie«, witzelte Mum.
»Wehe!«
Gilda meldete sich wieder zu Wort. »Wenn du mit deinem Gewinn an die Öffentlichkeit gehen willst, Lia, sollten wir die Initiative ergreifen und eine Pressekonferenz einberufen. Nicht, dass plötzlich lauter Reporter vor eurer Tür lauern. Oder möchtest du doch lieber anonym bleiben?«
»Lia will auf jeden Fall anonym bleiben«, sagte Mum und rührte in ihrem Tee. »Sie ist viel zu jung, um in der Öffentlichkeit zu stehen. Wir behalten die Sache für uns und erzählen nur den engsten
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