Ein Lottogewinn und 8 Millionen andere Probleme
freundlich, aber heimlich taxierten sie uns: Nat in ihrer Schlabberjeans, Mum im Hosenanzug von Zara, mich in meiner müffelnden Lederjacke. Mein ganzes Selbstbewusstsein war plötzlich futsch. Ich war sauer auf Mum, weil sie mich hierhergeschleift hatte, und zugleich ganz klein und verlegen. »Wir sind keine armen Leute!«, hätte ich am liebsten gerufen. »Ich bin Millionärin!«
Aber dann erzählte Mum der Verkäuferin von meinemLottogewinn und der Pressekonferenz und auf einmal war alles anders.
Wir bekamen eine riesige Umkleidekabine für uns allein. Eine Verkäuferin brachte uns Orangensaft und Kekse. Eine persönliche Beraterin schleppte lauter Sachen an, die wir anprobieren sollten, dazu Schuhe, Taschen, sogar Unterwäsche. Und die Sachen waren … Ich hatte immer die Nase über Designerklamotten gerümpft. Ich konnte nicht verstehen, dass manche Leute Tausende Pfund für eine Hose ausgaben. Aber als ich jetzt selbst eine Hose von Chloé anzog und dazu ein Oberteil von Dolce & Gabbana … der seidige Stoff, der perfekte Sitz, mein Spiegelbild … Es war verführerisch. Es machte Spaß. Es kam mir sogar vor, als ob Mum und ich uns besser verstanden als sonst.
Die Sachen, die sie für die Pressekonferenz für mich ausgesucht hatte, mochte ich wirklich: einen roten Rüschenrock (ebenfalls Dolce & Gabbana) und dazu eine kurze schwarze Jacke (FrostFrench).
Ich tat sogar begeistert, als sie ihrerseits einen nichtssagenden beigen Hosenanzug anprobierte, damit durch die Kabine stakste und verkündete: »Ist der nicht todschick? So einen würde bestimmt Carla Bruni anziehen, wenn ihre Tochter im Lotto gewonnen hätte.«
Ich verkniff mir die Bemerkung, dass Carla Bruni erstens ein Supermodel und zweitens die Frau des französischen Präsidenten ist. Meine Mutter und Carla Bruni sehen sich ungefähr so ähnlich wie Natasha und Naomi Campbell.
Stattdessen sagte ich: »Die Farbe steht dir total gut, Mum. Sie passt zu deiner Foundation«, worauf sie einverkniffenes Gesicht machte und erwiderte: »Vielleicht nehme ich den Anzug doch lieber in Braun.«
Die ganze Aktion hatte so gar nichts mit unserem Alltag zu tun – das tat uns richtig gut. Auf einmal waren wir total nett zueinander. Als ich mich in meinem neuen Rock um mich selbst drehte, applaudierte Mum und sagte: »Du siehst wunderschön aus, mein Schatz!« Ich musste ihr Lächeln einfach erwidern. Normalerweise hätte ich eine Grimasse geschnitten und schon aus Prinzip behauptet, der Rock sähe ranzig aus und ich würde ihn nie im Leben anziehen.
Lag es wirklich nur am Geld? Konnten Shoppingausflüge, Luxusurlaube und ein neues Haus allen Streit und alle Kränkungen vergessen machen? War es so einfach? War Harmonie tatsächlich käuflich? Ich konnte es einfach nicht glauben. Und doch standen wir hier in der Kabine, lachten, machten einander Komplimente und wählten eine für die andere das schönste Outfit aus.
Mum bezahlte mit ihrer Kreditkarte, aber ich versprach, ihr den Betrag zu überweisen, sobald ich die Millionen auf dem Konto hatte. 1 013 Pfund – Bill Gates hätte nicht großzügiger sein können, fand ich. Dann trafen wir uns mit Dad und bewunderten sein neues Jackett von Paul Smith. Wir gingen in eine Sushi-Bar, in der die Speisen auf einem kleinen Zug rund um den Tresen fuhren und man am farbigen Rand der Teller erkannte, was die Häppchen kosteten.
An meinen fünfzehnten Geburtstag hatten wir schon mal in dem Restaurant gegessen. Mum und Dad hatten uns vorher erklärt, wie viele Teller von welcher Farbewir uns nehmen durften. Heute aßen wir, worauf wir Lust hatten und so viel wir wollten. Paula schnappte sich einen Teller Sashimi, Natasha einen mit California Rolls. Garnelen, Shrimps … der kleine Zug fuhr rundherum, rundherum.
Wir machten Witze und lachten und redeten über Gildas Besuch und die Pressekonferenz.
»Endlich können wir die Bäckerei erweitern«, sagte Dad. »Davon hat dein Großvater immer geträumt, Lia.«
»Was haltet ihr von einer Villa mit Wintergarten?«, kam es von Mum. »Mit einem großen Garten natürlich auch. Und einem eigenen Bad für jeden.«
»Was meint ihr, wenn ich Gesangsstunden nehme … ob ich mich dann irgendwann bei X-Factor bewerben kann?«, fragte Natasha.
Jetzt wäre die Gelegenheit gewesen, ihnen von meinen eigenen Plänen zu erzählen – dass ich ausziehen und mit der Schule aufhören wollte, dass ich unabhängig leben wollte –, aber irgendwie passte es nicht.
Vielleicht waren wir ja ab jetzt
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