Ein Macho auf Abwegen
Strand
gegangen, um sich zu sonnen. Sie hörte ihre Schwiegermutter schimpfen: „Loca!
Ihr Ausländer seid doch alle verrückt!“
Es war gar nicht so einfach gewesen, sich auf dem Flughafen
zurechtzufinden und den richtigen Bahnsteig zu finden. Vor zehn Jahren hatte
man sich am Schalter, bei einem mehr oder weniger freundlichen Bahnbeamten,
eine Fahrkarte kaufen können. Heute musste man fast schon Computerfachmann
sein, wenn man nicht gerade schwarzfahren wollte.
Aber Christina hatte es geschafft. Sie war in der Kölner
Innenstadt. Vom Bahnhof aus ging sie auf direktem Wege zu dem Nobelhotel, an
dessen Eleganz sie sich noch sehr gut erinnern konnte. Verhältnismäßig
aufgeregt betrat sie die gediegene Hotelhalle.
Am Empfang erkundigte sie sich mit unsicherer Stimme, ob ein
Zimmermädchen gebraucht würde. Der Rezeptzionist bat sie in der großzügigen
Lobby zu warten, während er in der Personalabteilung nachfragen wollte.
Christina suchte sich einen Platz in einer stilvollen Sitzecke, von wo aus sie
das geschäftige Treiben in der Empfangshalle beobachten konnte.
Zehn Minuten später befand sie sich bereits auf dem Weg zum
Büro des Personalchefs. Herr Bergmann, ein eleganter, graumelierter
Mitfünfziger, schaute sie schon bei der Begrüßung etwas skeptisch an. „Sie
suchen also einen Job als Zimmermädchen. Haben Sie denn Erfahrung in diesem
Beruf?“, fragte er dennoch recht liebenswürdig. Dessen ungeachtet fühlte
Christina sich nicht wohl. Warum guckt der so komisch?, fragte sie sich. Diese
Freundlichkeit kam ihr irgendwie nicht aufrecht vor. Christina empfand es so,
als würde er sie nicht ganz für voll nehmen. Obacht!, dachte sie. Sie kramte,
offenkundig angespannt, ihr Ausbildungszeugnis aus ihrer Handtasche hervor.
„Ja, ich bin gelernte Hotelkauffrau. Während meiner Ausbildung habe ich
selbstverständlich auch in diesem Bereich gearbeitet“, erwiderte sie aufrecht
und reichte ihm ihren Nachweis. Bergmann studierte ihre Papiere. Er schaute sie
streng über seine schmale Lesebrille hinweg an. „Und was haben Sie in den
letzten zwanzig Jahren gemacht, Frau Klasen?“
„Oh,... ich ging damals gleich nach meiner Ausbildung nach
Spanien und arbeitete dort in einem Hotel in Marbella.“ Sie versuchte ganz
locker zu bleiben. Es kostete sie enorme Überwindung ihr Märchen zu erzählen,
denn, wenn sie Eines hasste, dann war es Lügen.
Ihr Nachwuchs hatte anstellen können, was er wollte.
Christina hatte die Kinder niemals bestraft, wenn sie ehrlich erzählten, was
vorgefallen war. Doch wenn sie ihre Sprösslinge beim Lügen erwischt hatte, war
es mit ihrer Gutmütigkeit zu Ende gewesen. Dann setzte es ’was!
Vielleicht fiel es ihr ja auch nur beim ersten Mal so
schwer. Übung macht den Meister! „Ja, und dort lernte ich meinen Mann kennen.
Ich führte mit ihm zusammen das Haus bis ...“
Christina merkte, wie ihr bei ihrer Lügerei das Blut in den
Kopf schoss. Jetzt werde ich auch noch rot!, jammerte sie innerlich, aber ihr
blieb keine andere Wahl. Sie musste einfach weiterschwindeln. „... bis zu
unserer Scheidung ... vor vier Wochen. Das Hotel gehört meinem Mann,...
Ex-Mann. Es ist schon in der dritten Generation in Familienbesitz. Natürlich
hat er mir kein Zeugnis für meine Arbeit ausgestellt. Ich habe auch nie ein
Gehalt bekommen.“
Bergmann runzelte die Stirn und sagte gar nichts. Hatte er
einen Blick für Flunkerer? Konnte er andere Menschen schon nach so kurzer Zeit
einschätzen und durchschauen? Ahnte er, dass mit Christina Klasen etwas nicht
stimmte? Kannte er sie vielleicht sogar? Christina wurde es ganz mulmig.
Endlich setzte er das Gespräch doch noch fort. „Sind Sie nicht auch meiner
Meinung, oder würden Sie mir zustimmen, wenn ich behaupte, Sie wären für diesen
Job ein wenig, sagen wir einmal, überqualifiziert, Frau Klasen?“
„Ja, das kann schon sein“, stammelte Christina, „aber Sie
haben es ja selber gesehen. Ich habe schon über zwanzig Jahre nicht mehr in
Deutschland gearbeitet. Heutzutage wird doch Vieles ganz anders gehandhabt als
früher. Ich muss hier doch alles noch einmal neu lernen. Zimmermädchen wäre für
einen Neuanfang wirklich gerade richtig.“
Sie grübelte einen kleinen Moment. Jetzt hältst du dich
nicht mehr zurück! Jetzt haust du auf den Putz, Christina! Du willst diesen
Job! Und du zeigst ihm jetzt, wie kompetent du bist!, feuerte sie sich
innerlich an. Sie richtete ihre Schultern auf, setzte sich kerzengerade hin und
schaute
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