Ein Macho auf Abwegen
Bezahlbare
Apartments oder Zimmer gab es bestenfalls in den Außenbezirken. „Was willst du
denn auf dem Land?“, fragte Bettina, als sie ihre neue Kollegin die Immobilienanzeigen
studierend im Aufenthaltsraum antraf. „Da ist doch der Hund begraben! Warum
willst du nicht hier im Hotel bleiben? Bequemer und billiger geht es doch gar
nicht.“ Bettina hatte Recht. Christina entschied sich zunächst einmal, die
Wohnungssuche hinten anzustellen. Eine arbeitsplatznahe Wohnung konnte sie
nicht bezahlen, und würde sie wirklich außerhalb wohnen, müsste sie, die so
gesparte Miete für öffentliche Verkehrsmittel ausgeben. Und die Hin- und
Herfahrerei würde obendrauf auch noch viel Zeit kosten. Nein, so war das schon
ganz in Ordnung.
Nach und nach wollte sie ihr Zimmer, wie es Bettina mit
ihrem Raum auch gemacht hatte, ein bisschen nach ihrem Geschmack ausstatten.
Ein Blümchen hier, ein Bild dort, Gardinen vor das Kellerloch. Vielleicht eine
Stereoanlage und einen kleinen Fernseher. Ansonsten würde sie sowieso nicht
viel Freizeit haben, um in ihrer Kammer zu hocken, denn sie hatte sich sofort
beim Sozialamt nach einem ehrenamtlichen Dienst in ihrem gewünschten
Wirkungsbereich erkundigt. Nachdem sie sich dort persönlich vorgestellt hatte,
gab man ihr, selbstverständlich streng vertraulich, die Adresse eines
Frauenhauses nicht weit vom Zentrum. Christina fuhr am darauf folgenden Tag,
direkt nach der Frühschicht dorthin, um sich das Heim näher anzuschauen und
sich gründlich über die Sozialarbeit dort zu informieren.
Man konnte das Haus ganz bequem mit der S-Bahn erreichen. Es
war eine alte, ziemlich heruntergekommene Villa, umgeben von einem
parkähnlichen, vernachlässigten Garten, der früher einmal prächtig gewesen sein
musste. Die haushohen alten Bäume, mit ihren dichten Laubkronen ließen kaum
einen Sonnenstrahl hindurch. Deshalb waren die Außenwände des Gebäudes auch
schon mit grünem Moosbelag überzogen. Mit einem bisschen Geld und
gemeinschaftlicher Arbeit könnte man ein kleines Paradies daraus machen, dachte
Christina, als sie das morsche Holztürchen hinter sich schloss.
Frau Clemens, die Leiterin des Frauenhauses, erwartete sie
bereits auf der Treppe vor dem Eingang. „Schönen guten Tag! Sie sind Frau
Klasen, nicht wahr?“, begrüßte sie ihren Besuch. „Ich bin Hilde Clemens. Aber
kommen Sie doch erst einmal hinein!“ Christina folgte Frau Clemens in ihr Büro.
Auch hier fiel kaum ein Lichtstrahl durch das Fenster, sodass selbst bei
Tageslicht die Deckenlampe brannte. Die beiden Frauen nahmen in einer kleinen
Sitzecke Platz, wo schon ein gemütlicher Kaffeetisch gedeckt war. Die große,
hagere, fast schon dürre Heimleiterin mit dem dunkelblonden Pagenkopf schenkte
Christina sofort ungefragt Kaffee ein und packte ihr ein großes Stück
Käsekuchen auf den Teller. „Der ist natürlich selbstgebacken“, strahlte sie.
„Was führt Sie denn nun genau zu uns, Frau Klasen?“, begann sie die
Unterhaltung. „Ja, Frau Clemens. Ich würde mich gerne im sozialen Bereich
betätigen. Dabei interessiere ich mich ganz besonders für die Arbeit mit
misshandelten Frauen und Kindern ...“
Die Heimleiterin unterbrach sie abrupt und schaute Christina
streng mit ihren bleifarbenen Augen an. „Warum gerade dieses Aufgabengebiet,
Frau Klasen? Warum gerade ein Frauenhaus und nicht ... ein Jugendfreizeit- oder
Kinderheim?“ Hilde Clemens kannte sich aus. Ausnahmslos jede, die sich für
diese Art von Sozialarbeit im Ehrenamt interessierte, war auf irgendeine Weise
auch Leidensgenossin der Hausbewohnerrinnen. Solche Frauen hatten es geschafft
aus ihrem akuten Alptraum zu entkommen und brauchten diese Aufgabe zur
ultimativen Vergangenheitsbewältigung. Viele fühlten sich mitschuldig an ihrem
Unheil und meinten Buße tun zu müssen. Es käme aber mit Sicherheit niemand mit
einer glücklichen und harmonischen Beziehung zu einem Mann auf eine solche
Idee. Genau wie jede andere, wollte Christina ihre Erlebnisse nicht preisgeben
und nannte der Heimleiterin ein paar belanglose Gründe. „Ach, wissen Sie, Frau
Clemens. Ich bin noch nicht lange in Köln. Mit Ausnahme von ein paar Kollegen,
kenne ich niemanden in der Stadt. Ich möchte gerne etwas Sinnvolles in meiner
Freizeit tun.“ Christina erzählte von ihrer Anstellung im Hotel und über ihr
Kellerloch, in dem ihr angeblich die Decke auf den Kopf fiel. Frau Clemens
hörte sich Christinas Ausführungen willig und ruhig an. Sie ließ sich dabei
aber
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