Ein Macho auf Abwegen
schrillen
Klingelton hatte sie durch einen supermodernen Radiowecker mit allem
Schnickschnack ersetzt, der sie jetzt etwas sanfter aus dem Schlaf beförderte.
An dem alten Kleiderschrank konnte sie rein äußerlich nichts verschönern, doch
das Innere hatte sie schon mit einigen schicken Klamotten bestückt.
Sie kam mit ihren Kolleginnen auf der Etage und mit den
Anderen, die sie regelmäßig im Personalraum traf, prima zurecht. Mit
Pink-Lila-Punk-Bettina sprach sie hingegen am häufigsten. Sie saßen täglich
während der Pausen zusammen und hatten immer ein Thema zum Plaudern. Mal
sprachen sie über die Kollegen oder Vorgesetzten, dann ging es auch wiederum um
die Gäste. Hier und da redeten sie auch über private Dinge. Bettina war, sehr
zu Christinas Verblüffung, ganz das Gegenteil ihres Äußeren. Pink-Lila war für
ihr Alter sehr vernünftig und bodenständig. „Ach, Christina! Ins Ausland wäre
ich auch so gerne gegangen. Ich wollte immer in den USA arbeiten. Am liebsten
in Los Angeles oder in Miami.“
„Und wieso hast du es nicht gemacht?“, fragte Christina.
„Träume wollen gelebt werden, Bettina! Was hindert dich daran?“ Bettina
strahlte sie an. „Na, der Jupp!“ Mit Josef, genannt Jupp, war Bettina schon
seit ihrem fünfzehnten Lebensjahr zusammen. „Er arbeitet in einer ganz anderen
Branche.“
„Was macht er denn?“
„Gas, Wasser, Scheiße“, antwortete Bettina salopp. „Aha! Ich
wusste gar nicht, dass man mit Scheiße Geld verdienen kann“, scherzte
Christina. „Ach, Christina! Das sagt man doch nur so! Jupp ist Installateur.“
„Und in den USA braucht man keine
Gas-Wasser-Scheiße-Fachleute? Das wäre mir neu. Die scheinen der europäischen
Technik ja um einiges voraus zu sein, wenn die schon keine Klempner mehr
brauchen.“
„Es ist so: Der Jupp hat keine Lust auf fremde Länder und
Sprachen. Und alleine will ich das auch nicht durchziehen. Ich mag eines Tages
heiraten und Kinder bekommen. Ich möchte gerne ein hübsches, kleines, spießiges
Häuschen mit Garten haben, so richtig altmodisch mit Kaffeeklatsch bei der
Nachbarin. Und das alles möchte ich halt mit dem Jupp zusammen machen.“
Christina lachte schallend los. „Ich fasse es nicht! Habe ich da richtig
gehört? Kam das gerade aus deinem pink-lila Struwwelköpfchen?“ Bettina sah ihre
Kollegin enttäuscht an. „Hör mal! Ich meine das ernst! Der Jupp und ich, wir
haben immer noch keine gemeinsame Wohnung, weil wir auf das Haus sparen. Ich
wohne hier im Hotel und Jupp noch bei seinen Eltern.“ Sie hob den Zeigefinger.
„Du wirst sehen! Es dauert nicht mehr lange, dann haben wir schon einen ganzen
Batzen für die Anzahlung zusammen.“
Christina hatte im Moment in Zimmer 325 ziemlich
anstrengende Kundschaft. Die junge Frau kam regelmäßig nicht vor Zwölf Uhr aus
dem Bett und ließ sich erst einmal in aller Ruhe das Frühstück ans Bett
servieren. Dann brauchte sie noch eine halbe Ewigkeit, um ihren Luxusbody im
Badezimmer zu pflegen. Anschließend probierte sie ausgiebig diverse Klamotten
an und kontrollierte streng ihr Erscheinungsbild im Schlafzimmerspiegel.
Christina hatte an den letzten beiden Tagen brav darauf gewartet, bis die
wasserstoffsuperoxyde Grazie das Zimmer endgültig verlassen hatte. Heute war
der dritte Tag, und sie hatte einfach keine Lust, auch zum dritten Mal in Folge
so spät zum Frauenhausdienst zu erscheinen. Entweder das Modepüppchen lässt
mich jetzt meinen Job machen, oder der Spätdienst muss der Barbie heute den
Hintern nachtragen, dachte Christina und klopfte um Punkt Zwölf Uhr mittags an
die Zimmertür. Es kam keine Antwort. Sie klopfte, ganz nach Vorschrift, noch
einmal an. – Immer noch keine Reaktion. „Also, keiner zu Hause“, sagte
Christina und schloss die Tür auf.
„Können Sie denn nicht anklopfen?!“, wurde sie von der
Zimmerbewohnerin begrüßt. „Was fällt Ihnen eigentlich ein, hier einfach so
reinzuplatzen?“, schnauzte Blondie weiter.
„Oh, entschuldigen Sie bitte, aber ich hatte zweimal
angeklopft! Da ich keine Antwort bekam, dachte ich, es sei niemand mehr da.“
Die junge Frau musste so um die dreißig Jahre alt sein, schätzte Christina,
aber sie thronte eher wie eine Siebzigjährige in ihrem Schlafgemach. Ihre
Kundin hatte sich ihre schwarze Schlafbrille bis auf die Stirn hochgezogen und
war gerade dabei, sich ihre Stöpsel aus den Ohren zu holen. Kein Wunder, wenn
die gar nichts mitbekommt!, dachte Christina. Aber sah die Dame gestern
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