Ein Macho auf Abwegen
brachte sie ihm sein Frühstück,
bestand darauf, dass er nicht in seinem Schlafanzug den Tag verbrachte, half
ihm beim Anziehen, versuchte mit ihm Gymnastik zu machen, wuchtete ihn in
seinen Rollstuhl und verbrachte ihre ganze Zeit bei ihm.
Marc hatte gute und schlechte Momente. Seine Stimmungen
konnten jedoch von einer Minute auf die andere ins komplette Gegenteil
umschlagen. An manchen Tagen begrüßte er sie bereits mit einem liebenswürdigen
Lächeln, wenn sie morgens mit dem Frühstück erschien. Christina betrachtete es als
ein großes Geschenk, wenn er gute Laune hatte. Sie redeten dann viel
miteinander und konnten sogar wieder gemeinsam lachen, herumalbern, kuscheln
und schmusen. Christinas Ziel war es, solche Augenblicke zur Normalität werden
zu lassen, damit er seine Lähmung dadurch wenigstens zeitweise vergessen
konnte. Er musste permanent von seinen Sorgen abgelenkt werden. Alles um ihn
herum sollte positiv und lebensbejahend sein.
Es waren nun vier Wochen seit der Hochzeit vergangen, und
Marcs Bauchwunde war gut verheilt. Ohne die Lähmung hätte er längst nach Hause
gehen können.
Professor Spengler war am späten Abend noch einmal zu ihm
gekommen. „Herr Stevens. Wie geht es Ihnen?“, fragte er mit beinahe mitleidigem
Blick. „Oh, ich könnte Bäume ausreißen, Herr Professor!“, antwortete Marc
sarkastisch. „Morgen werde ich, glaube ich, eine Runde Tennis spielen, und
danach gebe ich noch ein 3-Stunden-Konzert!“
„Zynismus steht Ihnen gar nicht gut, Marc“, sagte der
Professor, „und ihr Sarkasmus wird Sie nicht weiterbringen.“
„Ach ja? Und was wird mich denn weiterbringen, Herr
Professor? Soll ich hier im Bett liegen und vor lauter Selbstmitleid den ganzen
Tag rumheulen, oder was?“
„Aber genau das ist es, was Sie den ganzen Tag tun, Herr
Stevens! Sie verpacken mit ihrem Sarkasmus ihre Furcht und Verzweiflung. Es ist
nichts anderes als Ihre Art und Weise, nach Hilfe zu rufen – und Sie brauchen
Hilfe, und zwar Professionelle.“ Marc fuhr aus seinem Bett so hoch wie ihm das
möglich war und funkelte den Chefarzt stahlhart an. „Was meinen Sie damit? Dass
ich einen Seelenklempner brauche? – Herr Professor! Ich bin nicht verrückt!“
Professor Spengler schüttelte verständnislos den Kopf. „Niemand unterstellt
Ihnen, dass Sie das sind, Herr Stevens! Sie scheinen aber in einem Teufelskreis
festzustecken, aus dem Sie nicht mehr alleine herausfinden. Es gibt da etwas,
was Sie nicht aufstehen und laufen lässt. Sie fühlen sich womöglich unter Druck
gesetzt und haben Angst davor, versagen zu können. Sie sind ein absoluter
Erfolgsmensch. Solche Patienten haben oftmals größere Schwierigkeiten mit so
einem Schicksalsschlag fertig zu werden als Menschen, die es gewohnt sind ab
und zu mal kräftig auf die Nase zu fallen. Die ganze Nation schaut auf Marc
Stevens. Alle Menschen um sie herum erwarten von Ihnen, dass Sie wieder gesund
werden, und dieser Druck ist wahrscheinlich zuviel für Sie. Lassen Sie sich
helfen, Herr Stevens, und zwar von einem Psychologen. Vielleicht müssen Sie
sich einfach ihre Ängste von der Seele reden.“
„Wissen Sie was, Herr Professor? Ich habe eine Frau, mit der
ich über alles reden kann. Ich brauche niemanden zum Plaudern! Ich bin mein
ganzes Leben auf meinen zwei Beinen herumgelaufen. Ich weiß wie das geht! Warum
sollte ich Angst davor haben? Laufen verlernt man nicht, das ist wie mit dem
Fahrradfahren. Das soll heißen: Ich bin psychisch gesund, und die einzige
Ursache für meine Lähmung kann nur physischer Natur sein. Sie haben
offensichtlich irgendetwas übersehen, und ich möchte nochmals untersucht
werden!“
Professor Spengler erhob sich. „Nein, Herr Stevens. Wir
haben sicherlich nichts übersehen. An unserer Diagnose gibt es nichts zu
rütteln. Ihre Lähmung wurde definitiv durch die Operation hervorgerufen, hatte
also eine rein physische Ursache, aber ihr jetziger Zustand hat damit nichts
mehr zu tun. Wir könnten Sie noch hundertmal untersuchen, und es steht Ihnen
selbstverständlich frei weitere Spezialisten aufzusuchen, aber kein Arzt der
Welt wird zu einem anderen Ergebnis kommen.“
Als Christina sein Zimmer betrat, sah sie ihm seine schlechte
Stimmung bereits an. Was war passiert? Welche Laus war ihm über die Leber
gelaufen? Sie packte erst einmal den Korb mit den Frühstücksutensilien aus.
Vielleicht hatte er ja einen Bärenhunger oder brauchte einen starken Kaffee, um
richtig wach zu werden. Er rührte
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