Ein Magier in Nöten
Heemats Frage immer mehr zu der Annahme, daß ich in ein paar Minuten hauptsächlich aus Eiercreme bestehen würde.
»Laßt das Gottesgericht beginnen!«
Die Vorhänge öffneten sich; ich stand auf einer hohen Plattform, Hände und Füße gebunden, zwei stämmige Eremiten zu meinen Seiten. Etwas entfernt stand der Händler des Todes auf einer ähnlichen Plattform, nur wirkten seine Stricke erheblich dicker als meine; in großen Windungen bedeckten sie fast seinen ganzen Körper vom Brustkasten bis zu den Knöcheln. Auf jeder Seite von ihm drängelten sich ein Dutzend der stämmigsten Eremiten. Zwischen den Plattformen standen zwei riesige Eisenbottiche, von denen jeder für drei Mann Platz geboten hätte. Das mir nähere Faß war mit einer hellgelben, glibbrigen Masse gefüllt, das neben dem Händler mit einer eher hellbraunen.
Das Grölen der Menge lenkte meine Aufmerksamkeit etwas von den Bottichen und ihren nahrhaften Inhalten ab. Die Vorhänge waren nun vollkommen aufgezogen, so daß man die mit Zuschauern zum Bersten gefüllte Große Halle sehen konnte.
War das derselbe Raum, in dem ich noch vor wenigen Augenblicken gesessen hatte? Von meinem neuen Standpunkt über den Köpfen der Menge wirkte er irgendwie verändert. Immer noch war es der größte geschlossene Raum, den ich je gesehen hatte, doch von hier oben war es eben doch nur ein Raum, ein Raum mit Grenzen, die von fackelbestückten Wänden gebildet wurden, nicht mehr jene unendliche räumliche Ausdehnung, als die er mir einst erschienen war. Und so viele Leute auch dort unten versammelt waren, sie wirkten alle sehr klein; für einen kurzen Augenblick fühlte ich mich ihnen überlegen, ja entrückt.
Und dann kam mir zu Bewußtsein, daß sie alle hier versammelt waren, um mich zu sehen. Mich und den Händler des Todes. Wir waren die Attraktionen des heutigen Abends, Hunderte von Menschen studierten unsere Gesichter, suchten nach Zeichen der Angst oder der heiligmäßigen Ergebenheit. Irgendwo tief hinten in meinen Gehirngängen wußte ich, daß ich eigentlich Angst haben sollte. Schließlich sollte ich jeden Moment in ein Faß mit Eiercreme getaucht werden, und ein Teil meines Ichs schrie auch mit zittriger, angsterfüllter Stimme.
Ich war gefesselt und bewacht, ich konnte nirgendwohin flüchten, konnte mich nirgendwo verstecken. Und da unten war das Publikum – mein Publikum.
Sie applaudierten. Es war ein wunderbares Gefühl. Ich war nicht länger der Gehilfe des großen Magiers. Jetzt stand ich selbst im Zentrum der Aufmerksamkeit.
Würde es sich immer so anfühlen, wenn ich einst ein ausgebildeter Zauberer sein würde?
Steif verbeugte ich mich und verlor die Balance. Meine Wächter packten mich von hinten und verhinderten so eine vorzeitige Begegnung mit der Eiercreme.
Ich sah auf. Das Publikum war mäuschenstill. Mein Beinahe-Unfall hatte bewirkt, daß sie wie ein Mann die Luft angehalten hatten.
Und dann tönte eine vereinzelte Stimme aus der Zuhörerschaft, eine Stimme, die den ›Glücklichen-Holzfäller-Song‹ pfiff.
Ich sah hinunter und erblickte Ebenezum und Hendrek, die an demselben Tisch saßen, von dem vor wenigen Minuten der Händler und meine Wenigkeit auf so bestimmte Weise hinwegkomplimentiert worden waren. Hendrek bedachte seine Umgebung mit finsteren Blicken und spielte bedeutungsvoll mit einem kleinen Sack, der Schädelbrecher enthielt. Ebenezum schüttelte mit Nachdruck seinen Kopf, dann deutete er auf mich. Als ich ihm zunickte, berührte er mit den Fingern seine zum Pfeifen gespitzten Lippen.
Wollte er etwa auf subtile Weise andeuten, daß ich auch pfeifen sollte? Was hatte ich noch zu verlieren? Wenn ich schon in einem Bottich aus Eiercreme enden sollte, gäbe es bestimmt Schlimmeres, als dies pfeifend zu tun.
Also begann ich, pfeifend in den ›Glücklichen-Holzfäller-Song‹ einzustimmen. Ebenezum nickte enthusiastisch. Ich hatte demnach richtig gehandelt!
Der Zauberer hatte einen Plan.
Heemat schielte zu meinem Meister hinüber, doch Ebenezum hatte das Pfeifen nunmehr eingestellt und begnügte sich damit, mit seinen Ellbogen zu flattern.
»O Plaugg, der Du unter den Mächtigen des Himmels sein magst oder auch nicht, wir bitten Dich, erhöre unsere Bitte. Diese zwei dort haben während einer Deiner relativ heiligen Zeremonien Deinen Namen frevlerisch entweiht. So haben wir sie vor Dein Angesicht gebracht, um das Gottesurteil zu durchlaufen. Wir bitten Dich, hilf uns mit Deiner mäßigen Weisheit in dieser
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