Ein Mann für alle Sinne - Roberts, N: Mann für alle Sinne
kritischen Musterung mit zusammengekniffenen Augen stellte Juliet fest, dass Carlo recht hatte. Sie nahm den Pinsel erneut zur Hand und glich den Unterschied aus. „Sie sind ein Mann von scharfer Beobachtungsgabe.“
„Hm?“ Er sah wieder in ihr Gesicht, doch in seiner Vorstellung tauschte er ihre hochgeschlossene Bluse und den engen Rock gegen diesen provozierend kurzen Morgenmantel aus.
„Den meisten Männern würde der Unterschied nicht einmal auffallen.“ Sie nahm den Kajalstift zur Hand.
„Mir fällt alles auf, sobald es eine Frau betrifft.“ Am oberen Rand des Spiegels hielt sich noch ein wenig Dampf vom Duschen. Den Streifen dort beschlagen zu sehen beschwor andere, höchst erfreuliche Bilder vor Carlos Augen herauf. „Was Sie da mit Ihrem Gesicht machen, lässt Sie ganz anders aussehen.“
Sie hatte sich inzwischen wieder entspannt, und so lachte sie. „Das ist ja auch der Sinn.“
„Nein, nicht unbedingt.“ Er trat näher, sodass er ihr über die Schultern schauen konnte. Für ihn war diese harmlose Intimität so natürlich, wie sie für Juliet aufreibend war. „Ohne die Hilfe all dieser Farbtiegel wirkt Ihr Gesicht viel jünger und verletzlicher, aber keineswegs unattraktiver als mit der Farbe. Anders eben ...“ Er nahm ihre Bürste auf und fuhr damit leicht durch ihr Haar. „Nicht mehr, nicht weniger ... nur anders. Mir gefallen beide Gesichter.“
Es fiel ihr schwer, eine ruhige Hand zu behalten. Juliet legte das Lidschattendöschen ab und nahm stattdessen die Kaffeetasse auf. Lieber ironisch sein als durcheinander, sagte sie sich und bedachte ihn mit einem kühlen Lächeln. „Sie scheinen sich im Badezimmer einer Frau, die sich schminkt, ja wie zu Hause zu fühlen.“
Er mochte es, wie ihr Haar fiel, wenn er es bürstete. „Ich war so oft dabei.“
Das kühle Lächeln wurde frostig. „Das glaube ich Ihnen gern.“
Ihr Ton war nicht zu missverstehen, dennoch bürstete er ungerührt weiter, während er ihre Augen im Spiegel suchte. „Denken Sie, was Sie wollen, cara, aber vergessen Sie nicht, dass ich mit fünf Frauen unter einem Dach aufgewachsen bin. Ihre Tuben und Fläschchen enthalten nichts, was mir ein Geheimnis wäre.“
Das hatte sie tatsächlich vergessen. Oder sie hatte ganz bewusst alles über ihn vergessen, was nicht in direktem Zusammenhang mit dem Buch stand. Jetzt allerdings stürzten die Fragen auf sie ein. Welche und wie viele Einsichten über Frauen konnte ein Mann sammeln, wenn er seit seiner Kindheit unter ihnen lebte? Mit leicht gerunzelter Stirn griff sie nach dem Mascara.
„Hat sich Ihre Familie sehr nahegestanden?“
„Wir stehen uns noch immer nah“, stellte er richtig. „Meine Mutter ist Witwe und führt ein gut gehendes Bekleidungsgeschäft in Rom.“ Es war typisch für ihn, dass er nicht einmal auf die Idee kam, zu erwähnen, dass er das Geschäft für seine Mutter gekauft hatte. „Meine vier Schwestern leben alle im Umkreis von dreißig Kilometern. Sicher, ich teile mir nicht mehr das Badezimmer mit ihnen, aber ansonsten hat sich nicht viel geändert.“
Sie stellte sich vor, wie es sein mochte. Es klang gemütlich und heimelig und richtig nett. Juliet glaubte allerdings nicht, dass sie sich mit einer solchen Situation anfreunden könnte. „Ihre Mutter muss stolz auf Sie sein.“
„Sie wäre noch stolzer, wenn ich meinen Teil zu der stetig wachsenden Horde von Enkelkindern beitragen würde.“
Sie musste lächeln. Das hörte sich bekannt an. „Ich weiß, was Sie meinen.“
„Sie sollten Ihr Haar so lassen und nichts mehr ändern“, meinte er, als er die Bürste ablegte. „Haben Sie Familie?“
„Meine Eltern leben in Pennsylvania.“
Einen Moment stellte er sich die Landkarte vor. „Ah, dann werden Sie sie besuchen, wenn wir in Philadelphia sind.“
„Nein.“ Ein einzelnes tonloses Wort nur, während sie die Wimperntusche verschloss. „Dafür wird keine Zeit sein.“
„Ich verstehe.“ Und er glaubte, dass er wirklich zu verstehen begann. „Haben Sie Geschwister?“
„Eine Schwester.“ Weil er mit ihrer Frisur recht hatte, befolgte Juliet seinen Rat und schlüpfte an ihm vorbei, um ihre Jacke zu holen. „Sie hat einen Arzt geheiratet und zwei Kinder in die Welt gesetzt, einen Jungen und ein Mädchen, noch bevor sie fünfundzwanzig war.“
Oh ja, und ob er zu verstehen begann. Die Worte waren leicht dahingesprochen, doch ihre Schultern hatten sich versteift. „Also ist sie eine gute Arztfrau?“
„Carrie ist die
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