Ein Mann fürs Grobe
weil der Kunststudent sie ja schwerlich kennen konnte.
Aber vielleicht war es der väterliche Ton in Mannhardts Stimme oder Yaiza Teetzmanns spöttisches Kichern, jedenfalls steckte er den Kopf aus seinem Zelt, ohne irgendwie eine Waffe aus dem Rucksack gerissen zu haben oder Fluchtimpulse zu zeigen.
Daniel Mindermann richtete sich vollends auf und begrüßte sie mit einer hellen, fast kicksenden Stimme. «Die Kripo – herzlich willkommen.»
Mannhardt blieb stehen. «Sieht man uns das an?»
«Ich hab eben in Schluft in der Zeitung gelesen, daß Wuttkowski ermordet worden ist.»
Yaiza Teetzmann sah ihn an. «Und da sind Sie nun mächtig erschüttert.»
Mindermann sah zum See hinüber. «Ja...»
«Obwohl Sie ihm die Pest an den Hals gewünscht haben ...?» fragte Mannhardt.
«Dann wissen Sie also, was er mit Claudia gemacht hat?»
«Er streitet es ab, andere behaupten es...» Yaiza Teetzmann stieß mit der Fußspitze einen Kienapfel in ein Karnickelloch. «Für Sie dürfte es allemal ein Motiv gewesen sein.»
«Kann sein...»
Mannhardt bemühte sich um einen fast heiteren Ton. «Geflüchtet sind Sie ja hierher an den See, und diese Flucht läßt uns natürlich fragen, weswegen Sie denn geflüchtet sind...»
«... da fällt uns natürlich der Wuttkowski ein, den Sie ja von Herzen gehaßt haben», fügte Yaiza Teetzmann hinzu. «Nachweislich.»
Daniel Mindermann warf seinen Kopf so heftig herum, daß der Pferdeschwanz nach vorne flog. «Ich bin nicht deswegen geflüchtet, sondern wegen Claudia.»
«Vor der Liebe?» spöttelte Mannhardt.
«Ich muß malen, ich muß mich konzentrieren. Sie lenkt mich ab, sie saugt mich aus. Es ist Schluß mit ihr. Andererseits... Ich bin nicht losgekommen von ihr. Und darum bin ich einfach untergetaucht.»
«Seit wann sind Sie denn schon hier?» wollte Yaiza Teetzmann wissen.
«Seit letzter Woche... Seit Mittwoch.»
Mannhardt nickte. «Dann haben Sie also, als Wolfgang Wuttkowski in Lübars erschossen worden ist, schon hier im Zelt gelegen?»
«Ja.»
«Und wie sind Sie hergekommen?»
«Mit dem Zug. S-Bahn bis Karow, Regionalbahn bis Groß Schönebeck und dann die paar Kilometer zu Fuß.»
Mannhardt überschlug die Fahrzeiten. In zweieinhalb Stunden konnte man es geschafft haben, von Berlin hierher zu kommen. Mit einem geliehenen oder gestohlenen Auto noch wesentlich schneller. Daniel Mindermanns Alibi war also für die Katz. Aber ihm etwas nachzuweisen schien fast unmöglich zu sein. Das Spielchen «Wer hat ihn wann und wo gesehen?» brachte selten etwas ein. Typen wie er fuhren in Massen herum, und die Leute hatten zuviel mit sich selber zu tun, als daß sie sich noch groß um andere kümmerten.
Mannhardt beschloß, seine Depression zu nehmen.
10
Hartmut Tscharntke fuhr auf seinem Mountainbike durch die Fresdorfer Heide, deren höchste Erhebung, der Backofenberg, immerhin eine Höhe von 90,9 Metern hatte. Da kam er schon ganz schön ins Keuchen. Aber der Arzt hatte ihm das als Ausgleich zum ewigen Sitzen im Wagen dringend angeraten.
Eine Wandergruppe. Alles nur Frauen. Tscharntke hielt an und starrte ihnen hinterher. Er sehnte sich danach, mit einer im Gras zu liegen. Wie vor langen Jahren mit Katja beim Ernteeinsatz in Zehdenick. Seit der Trennung von ihr blieben ihm nur noch die Frauen, für die man zahlen mußte, und das war eher etwas Medizinisches für ihn, eine Art Schutzimpfung davor, daß er nicht mal durchdrehte, wenn eine im kurzen Rock in seine Taxe stieg. Was er wollte und brauchte, war Katja und sonst nichts auf der Welt. Wenn sie ihn wieder akzeptierte, war alles gut.
Er liebte die märkischen Endmoränenhügel mit ihren lichten Kiefernwäldern. Das hatte etwas Südliches, zumal an diesem heißen Sommertag, und er dachte an Mallorca und die Pinienwälder hinter Cala Ratjada. Wenn sie mit Marc und Maja zum Strand gegangen waren. Aus und vorbei, seit dieser Dr. Witt nach der Wende seinen VEB hingerichtet hatte. Von nun an ging’s bergab... Das alte Lied der Knef steckte in den Schaltkreisen seines Gehirns wie ein Virus im Computer und wirkte im Sinne einer self-fulfilling prophecy. Erst die Arbeitslosigkeit, dann der Alkohol und schließlich die Trennung.
Geblieben war ihm nur der alte, halb verfallene Bauernhof zwischen Wildenbruch und dem Seddiner See, der mehr war als eine x-beliebige Datsche. Er hatte ihn 1985 von Vera Lewandowski gepachtet, einer einheimischen Bauersfrau, der es gelungen war, ihn aus der LPG herauszuhalten. Seitdem war er von
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