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Ein Mann fürs Grobe

Ein Mann fürs Grobe

Titel: Ein Mann fürs Grobe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Bosetzky
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Anfang April bis Ende Oktober fast jedes Wochenende mit seiner Familie von Ostberlin nach Wildenbruch gefahren, im Bogen um Westberlin herum, was aber, weil man über Karlshorst, Schöneweide, Grünau und Schönefeld schnell die Autobahn erreichen konnte, gar keinen sonderlichen Umweg bedeutet hatte.
    «Hallo, Hartmut!» Am Ortseingang lief ihm Ute über den Weg, eine Psychologin aus Wilmersdorf, die sich hier in einem ausgebauten Bauernhaus von ihren Klienten erholte. «Hast du den Backofen schon angeworfen?»
    «Hab ich. Wenn ich die Asche und die Holzreste rausgeholt habe, könnt ihr gleich... Um achtzehn Uhr vielleicht.»
    «Wunderbar!» sie eilte davon, ihre Brote zu formen. «Bis dann.»
    Unter den Westberliner Ökofreaks, die sich hier angesiedelt hatten, war es guter Brauch geworden, nicht nur über die Dörfer zu ziehen und Getreide aus biologischem Anbau und Eier von bodengehaltenen Hühnern zu kaufen, sondern sein Vollkornbrot auch artgerecht in einem original Hexenofen zu backen. So trug man dann seine wohlgeformten Laibe alle vierzehn Tage zu Hartmut Tscharntke und schob sie eigenhändig auf einer langen hölzernen Schaufel in den Ofen hinein.
    «Herr Tscharntke, Momentchen mal!» Wieder wurde er aufgehalten, diesmal von einem Deutschlehrer aus Berlin, der sich hier eingemietet hatte, um sozusagen an Ort und Stelle die literarische Geschichte der Zauche zu schreiben, so hieß der Landstrich hier. «Mein Computer streikt mal wieder und meldet nur noch das...!» Er zog einen Zettel aus der Tasche und hielt ihn Tscharntke hin.
     
    FEHLER IM ANWENDUNGSPROGRAMM
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    «Muß ich mir mal ansehen...» Tscharntke fuhr neben dem Lehrer her, der froh zu sein schien, einmal jemanden zum Reden zu haben, und ihn förmlich zuschüttete.
    «Ich war gerade dabei, Fontane auszuschlachten, den Band ‹Havelland›. Wissen Sie eigentlich, welche von den Wendenstämmen hier gelebt haben?»
    «Nein.»
    «Die Stodoraner, die Heveller und die Spriavaner. Und ich habe auch den Verdacht, daß unser Ort Siethen hier – am Siethener See – auf die Sitna zurückgehen könnte. Worum’s mir aber eher geht, ist das Kloster Lehnin. Sie wissen ja: die Zisterzienser... Da kennen Sie sicher die Geschichte des Abtes Siebold...?»
    «Nein, leider nicht...»
    «1190 ist das gewesen. Siebold hat im Klosterdorfe Prützke gepredigt, und als er zurückgeht nach Lehnin, bekommt er im Dorfe Nahmitz Hunger und Durst und betritt einen Bauernhof. Die Wenden haben Angst vor ihm und stieben auseinander. Die Bäuerin flüchtet sich unter den umgedrehten Backtrog, der nichts weiter als ein ausgehöhlter Eichenstamm ist. Der Abt Siebold ahnt das nicht und legt sich auf den Trog, um sich ein wenig auszuruhen. Die Kinder laufen indessen zum See, um die Männer zu holen, und melden dabei: ‹Der Abt ist da und liegt auf der Mutter!› So jedenfalls bei Willibald Alexis in seinem wunderbaren Roman ‹Die Hosen des Herrn von Bredow›. Die Wenden deuten dies als Vergewaltigung, zumindest aber als einen feindlichen (Liebes-)Akt, und stürzen nach Hause, um Siebold zu lynchen. Der kann fliehen und trotz seiner beträchtlichen Leibesfülle einen Baum erklimmen, in dessen dichtem Laub er sicher zu sein scheint, sosehr sie ihn auch suchen. Da fällt ihm das Schlüsselbund aus seiner Kutte, und die Wenden entdecken ihn.»
    «O Gott, der Ärmste!» rief Tscharntke aus.
    «Natürlich weigert er sich, hinabzusteigen. Was nun? Der Säckelmeister des Klosters bietet den Wenden ein hohes Lösegeld, und der Abt selber sichert ihnen den Erlaß des Zehnten, also ihrer Steuern, zu, doch nichts hilft mehr: Sie fällen den Baum und erschlagen ihn.»
    «Pech gehabt. Aber Mönche hat’s ja genug gegeben.»
    Damit waren sie an dem Gehöft angekommen, wo der Lehrer und Literaturforscher sein Zimmer hatte, und Tscharntke machte sich an die Reparatur des Computers, was ein Klacks für ihn war.
    «Wenn wir Sie nicht hätten!»
    Tscharntke bekam eine Flasche Rotwein geschenkt und radelte zu seinem kleinen Bauernhof zurück. Die Leute hier achteten, ja, hofierten ihn sogar in einer ganz gewissen Art und Weise, etwa so wie früher in der DDR die Verkäuferinnen, die etwas mit der «Bückware» zu tun hatten, oder die «Kader», die einem eine Urlaubsreise nach Ungarn vermitteln konnten. Es war ein schönes Gefühl.
    «Hallo, Herr Tscharntke...!» Vera Lewandowski stand vor

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