Ein Mann fürs Grobe
hab Sie auch für einen Polen gehalten.»
Mannhardt wurde langsam hellhörig. Ob der junge Schnösel – für cool und clever genug schien er sich ja zu halten – ihn anmachen wollte, vielleicht mitzuhelfen, Autos nach Polen zu verschieben? Es wurde ja gemunkelt, daß Wuttkowski in einer solchen Connection dringesteckt hatte. Schaden konnte es ja nicht, auf dieses Spielchen einzugehen, wenn es denn eines war. «Haben Sie etwas gegen Polen?»
«Nein.»
«Dann kann ich Ihnen ja gestehen, daß ich aus Polen komme. Aussiedler, 1987 heim ins Reich. Aus Kattowitz. Da kommen die Ebertowskis alle her.» Auf der Suche nach einem passenden Namen war ihm der Schriftsteller Jürgen Ebertowski eingefallen, der groß auf dem Plakat zur Tegeler Krimi-Nacht gestanden hatte.
«Und – kann man denn leben vom Taxifahren hier in Berlin?»
«Es gibt zu viele Taxen und zu wenig Fahrgäste. Nach dem Fall der Mauer kommen ja kaum noch Touristen her. Christo, na ja, aber danach...» Mannhardt hoffte, daß jetzt die Frage käme, ob er denn an einem kleinen Nebenverdienst Interesse hätte. Und sie kam.
«Wenn Sie gelegentlich ’n paar Mark dazuverdienen wollen...»
Mannhardt drehte sich um. «Ja, gerne...» Auch nach so vielen Dienstjahren verspürte Mannhardt noch eine fast prekoitale Spannung.
«Zehn Prozent Provision, wenn Sie mir einen Kunden bringen... Hier meine Prospekte.»
Als er sah, worum es ging, hätte Mannhardt laut loslachen können. Einen Computershop betrieb der Mann, weit draußen in Zeuthen. Nicht mal ein Bordell. Dennoch versprach er, sein Bestes zu tun.
Am Bahnhof Schöneweide angekommen, zeigte die Taxenuhr 45,80.
«Das darf doch nicht wahr sein!» rief der Computerhändler. Für dieselbe Strecke hab ich noch nie mehr als vierzig Mark bezahlt. Da müssen Sie aber ’n ganz schönen Umweg gefahren sein. Wohl neu im Geschäft?» Natürlich spielte es für Mannhardt nicht die allergeringste Rolle, ob er da fünf Mark mehr oder weniger ablieferte, und dennoch schnellte sein Adrenalinspiegel schlagartig hoch, und erfuhr kampfbereit herum. «Hier wird bezahlt – sonst ruf ich die Polizei.»
«Tun Sie das! Und dann vergleichen wir mal die optimale Route mit der Strecke, die Sie gefahren sind. Ich hab das alles notiert.»
Da flippte Mannhardt aus. Obgleich das unbegreiflich für ihn war. «Meintwegen nur vierzig Mark, aber Ihre Scheißprospekte, die können Sie sich an den Hut stecken.» Er warf sie dem Computerhändler gegen die Brust. Der sah genauso rot.
« Komm doch raus, du Arsch!»
«Erst wenn du ausgestiegen bist, du Penner!»
Der Mann tat es und erwartete Mannhardt. Als Taxifahrer verspürte er jetzt nur noch den einen Impuls: das Schwein zusammenzuschlagen, als getarnter Kripomann aber bekam er sich noch einmal in den Griff. Bloß kein Disziplinarverfahren! Schnell trat er aufs Gaspedal und raste davon.
Immer noch erschrocken über sich und das Sosein der Welt fuhr er in den Norden zurück. Die nächsten beiden Stunden vergingen damit, ein Liebespaar aus Leipzig, Steffen und Franziska, vom Hauptbahnhof nach Lichterfelde zu fahren und einen Betrunkenen von Steglitz nach Tiergarten hinauf. Dann war da noch der so seriös wirkende leitende Angestellte in der Roedernallee, der sein Portemonnaie vergessen hatte, nur mal eben schnell in die Wohnung hinauf wollte, das Geld zu holen, und nie mehr gesehen wurde... «Fahrgeldprellerei» hieß das im Fachjargon, wie Mannhardt auch schon wußte. Weiterhin gab es eine sogenannte «vergebliche Anfahrt»: Als er nämlich am Senftenberger Ring 34 auf eine Frau Matuschewski wartete, zu der er von seiner Funkzentrale hinbeordert worden war, passierte gar nichts. Ein Kollege hatte ihm die Fuhre weggeschnappt.
Insgesamt machte ihm die Sache Spaß, und er verstand, daß manche sagten, Taxifahren sei wie eine Droge. Auf den nachtleeren Straßen konnte er sich richtig treiben lassen, und er genoß das On-the-road-Gefühl, wie er es aus Filmen kannte, das Freiheitsgefühl des truckers, auf berlinerisch: Mir kann keena. Die Nacht gehörte ihm. Obwohl: Die Augen brannten schon, und die Bandscheibe schmerzte... Profis hatten ihm erzählt, daß sie es in ihren Nachtschichten bis auf 250 Kilometer Stadtfahrt brachten.
Gegen Mitternacht war er am U-Bahnhof Osloer Straße, im Wedding also, und hatte endlich den Typ von Fahrgast hinter sich, auf den er schon die ganze Zeit gewartet hatte: NN, den Junkie mit seinen verfilzten Haaren und seinem Schmuddellook, bereit, für den
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